Zehnte Szene

[26] STABERL allein. Warum nicht gar ins Wasser? Ja, wenn ich nur etwas davon hätte! Vor allen Wassern kann ein Parapluiemacher nicht schützen. Das, was von oben kommt, können wir ableiten, aber das von unten geht uns nichts an. Ruft ihr nach. Tummeln S' Ihnen lieber mit dem Wein, Frau Redlichin, das ist g'scheiter. Kleine Pause. Jetzt bin ich nur kurios, was sie für ein Gewächs bringen wird! Ei, ich bin ein Kenner, wenn ich nur was davon hätt! Nun, wenn ich einmal in einem Keller völlig ein'graben war, so werd ich doch den Rebensaft studiert haben. Warten S', die Geschicht muß ich Ihnen doch erzählen. Es war im vor'gen Herbst an einem schönen Frühlingstag, der Pfingstsonntag ist an einen Mittwoch g'fallen, als mich mein Herr Vetter von Klosterneuburg zu sich einlad't auf eine Weinkost. Ich steh vor Tags auf, war um halber zwei Uhr nach dem Essen, zieh mich sauber an, altdeutsch mit einer Haargeigen und einem dreieckigen Hut, nimm mein Wanderstaberl und kam glücklich den dritten Tag in Klosterneuburg an. Mein Vetter beim »Goldenen Simandel«, der statt dem Hausschild immer beim Fenster herausg'schaut hat, sieht mich gleich von weitem, umarmt mich, laßt die Hund aus und führt mich[26] im Triumph in sein Haus. »Grüß Ihnen Gott, wie geht's Ihnen?« – »Ich dank Ihnen, muß gleich gut sein!« – »Setzen S' Ihnen nieder, 's kost't kein Geld! Tragen Sie mir den Schlaf nicht aus – heut is ein schöner Tag!« – Kurz, Redensarten, die einem gebildeten Menschen nie entfallen, wechseln ab; er wart't mir mit einem Tabak auf, ich ihm entgegen. – »Wo kauft ihn der Herr Vetter?« – »Beim roten Apfel« – Kurz, daß ich kurz bin, der Abend rückt unter lauter Bonmots heran. Endlich nimmt er mich, scheppert mit den Schlüsseln. »Herr Vetter, wegen der Weinkost«, sagt er. »Ach ja«, sag ich, »schon recht«, mach mich auf und stolpere mit ihm zum Haustor hinauf. Wir kommen im Keller zur ersten Tür: süperbe Lage, Keller auf die Donau hinaus, göttliche Aussicht – Wasser über Wasser! Etwas Prächtiges für einen Weinhändler; wir kommen zur zweiten Tür, ein ganzes Bergwerk voll Schwefel, ich glaub, ich bin in Baden beim Ursprung; endlich bei der dritten Tür, neben einem kleinen Bleizuckergebirg, war der Wein einlogiert. »Herr Vetter«, sagt mein Vetter, »wir sind an Ort und Stell, legen Sie ab.« Vier andere Herren, die auch eingeladen waren, kamen nach. Endlich nimmt mein Herr Vetter seinen Heber und sagt: »Meine Herren, jetzt werd ich Sie mit einem Wein bekannt machen, der hundert Jahr alt ist. Respekt! – Gold, pures Gold! Mit Silber beschlagen.« Ich reiß meinen Hut herunter, lang nach dem Glas – ich spitz sogleich den Mund, riech am Glasel, schnuppere und gieß ihn sachte hinab. – »Jetzt abermals den Hut herunter!« schreit mein Vetter, »hier aus diesem Faß windet sich ein respektabler Vierundsechziger, ein Kaltenberger auf Zibebenlager. – Süßeres hat noch kein Zuckerbäcker in seinem Gewölb gehabt.« – Ich halt abermals mein Glas hin, trink etwas geschwinder – merk erst, was ich trinke, beim zweiten Glasel, entscheide erst beim dritten. Herr Gott von Simmering! Lind und lebendig wie Milch und Butter. Jetzt kommandiert mein Vetter: »Atem geschöpft! Jetzt kommt mein Magenwein, ein Tropfen für alle Zuständ in der Welt!« Ich setz dem Siebenundneunziger stark zu – natürlich, vom Aufgebot hab ich ihn gekannt. Sind damals alle zwei auf der Glacis gestanden. »Alle guten Ding«, sag ich, »sind siebenundneunzig«, und trink beiläufig siebenundneunzig Gläser glücklich hinunter. Pause. Das war gut bis daher – Er geht auf und ab.[27] bis daher war es gut! – Pause. Aber jetzt kommt's! – »Die Hut aufg'setzt«, sagt mein Herr Vetter, »jetzt kommt ein rabiater Bruder, der Kometwein von anno Elfe; das ist ein Kerl mit juchtenen Stiefeln und eisernen Sporen, wer diesem Meister wird, den will ich loben.« – Ich, der ich die Schwachheit hab, mich gern loben zu lassen, begeh die Zweideutigkeit und trink den Elfer aus dem Weinamper – trink, daß ich gar nicht mehr gesehen hab und daß, wie ich den ersten Hieb übern Kopf g'spürt hab – daß ich auch schon allein im Keller war, denn die andern sein alle wahrscheinlich hinausgetorkelt und haben mich, weil sie auch schön zugedeckt waren, vergessen. Gerechter Himmel, sag ich zu mir, was ist das in meinem Körper für eine Revolution? Der Elfer mit seinen juchtenen Stiefeln und eisernen Sporen tritt auf den hundertjährigen Greisen herum, der siebenundneunzigjährige Jüngling, der vierundsechzigjährige Mann wehren sich – und mein Magen ist das Schlachtfeld, wo die Bataille vorgeht! – Bums, stoßt mich der Siebenundneunziger auf den Vierundsechziger, hast du's nicht gesehen, flieg ich wieder auf den Elfer hin; dieser, ein junger, starker Kerl, gibt mir einen Riß in die Seiten, und ich fall nach aller Länge unter den Fässern zusammen! Was, von da ang'fangt, mit mir noch alles geschehen ist, das weiß ich nicht, mit einem Wort, wie ich erwacht bin – wie ich erwacht bin, ich bitt Ihnen, ist der Schimmel handhoch auf mir gewachsen, und mein Herr Vetter, der mich acht Tage im Keller vergessen hatte, steht mit einer Latent vor mir – und fragt mich mit dem nämlichen Gesicht vom Simandel- Hausschild: »Nun, was machen S' denn? Leben S' noch?« – »O mein Herr Vetter«, sag ich, »mir ist recht übel.« – »Ja«, sagt er, »auch ist schon ein Doktor da.« Der Doktor, ein galanter Herr, sagt: »Freund, Sie haben einen Weinprozeß im Leib, die vier Parteien müssen wir nun einzeln herauskriegen, sonst springen Sie auseinander wie ein Pulverfaß.« Ich glaube, der Schlag trifft mich. »In Gottes Namen«, sag ich, »Herr Doktor, tun Sie mit mir, was Sie wollen.« – Er zieht gleich den Rock aus, kniet sich auf mich und sagt: »Der Elf er ist der größte Unruhestifter, den müssen wir durchs Schröpfen herauskriegen; der Siebenundneunziger muß bescheiden angepackt werden, der muß durchs Schwitzen sich verlieren – den Vierundsechziger«, sagt er, »der muß sich als guter[28] Wein durchs Weinen verlieren; endlich der hundertjährige Wein«, sagt er, »der muß –« Doch da bin ich aufgesprungen und hab den Doktor übern Haufen g'worfen – »Nein, mein Herr«, hab ich g'sagt, »den Hundertjährigen behalt ich bei mir – das Alter muß man ehren! – Den will ich als Essenz behalten, damit ich den Weinpantsch der jetzigen Wirt in Zukunft besser vertragen kann!«


Quelle:
Das Wiener Volkstheater in seinen schönsten Stücken. Leipzig 1960, S. 26-29.
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