Die Lehrerin

[131] »Man sucht Erwerbszweige für die Frauen auf – die Laufbahn der Erzieherin ist diejenige, die ihr vorerst gehört. Die Natur hat die Frauen gewissermaßen dazu bestimmt; sie sind Erzieherinnen, weil sie Mütter sind.«

»Kehren wir im neunzehnten Jahrhundert zu der alten Theorie von der Inferiorität der Frau zurück? Haben sie weniger Rechte, oder weniger Fähigkeiten als wir? Hat die Gesellschaft ein geringeres Interesse daran, sie zu unterrichten? und erheischt es nicht die Gerechtigkeit grade darum, weil ihre physischen Kräfte geringer sind, ihnen die Vortheile einer mit den Männern gemeinschaftlich guten Ausbildung zu geben?«

»Das größte Bedürfniß der Gesellschaft war immer und ist heute, mehr als je, die Verbesserung der Sitten, und das beste Mittel dies zu erreichen besteht darin, den Frauen eine gute Erziehung zu geben, damit der Mann seine Häuslichkeit liebe, und das Kind bei der Mutter nicht allein Befriedigung seiner körperlichen Bedürfnisse, sondern auch die Nahrung des Geistes finde!«

Jules Simon.


Es sind nun gerade zwölf Jahre her, seit wir das vorgehende Kapitel niedergeschrieben, und wir müssen es freudig anerkennen, wie seitdem Manches geschehen ist, den weiblichen Unterricht zu verbessern, und man namentlich sein Hauptaugenmerk den Schulen zugewendet,[131] in Folge dessen an verschiedenen Orten höhere Töchterschulen entstanden sind, die in trefflicher Weise nach den von uns angedeuteten Richtungen hin Bahn brechen.

Dennoch konnten wir uns nicht entschließen, auch nur ein Wort von dem zu streichen, was wir damals gesagt, denn erst noch zu vereinzelt wirkt das Gute und Bessere, noch ist das Unzweckmäßige und Unklare bei Weitem vorwiegend und die Frage ist doch viel zu ernst, als daß wir nur einen Schritt zurückweichen dürften, ehe sie überall in ihrer vollen Bedeutung anerkannt ist. Mit ihr auf's Innigste verbunden und verflochten aber, ist die ebenso wichtige Frage, in wie weit den Frauen das Erziehungs- und Unterrichtsfach, vorzugsweise ihres eigenen Geschlechtes, als Erwerbsgebiet und als edelster Beruf, neben jenem der Mutter, in unserem Vaterlande zurückzuerobern und für sie zu behaupten ist. Beide Fragen sind gar nicht von einander zu trennen, was man leider zu oft und auch zu gern übersieht. Ungenügende weibliche Schulen müssen nothwendigerweise mangelhafte, weibliche Lehrkräfte erzeugen, und es ist ein grausames, vorschnelles Urtheil, die Lehrkraft der Frau als eine geringere, wie die des Mannes hinzustellen, ehe man ihr Gelegenheit geboten hat, sich in der gleichen Weise, wie er, dafür auszubilden. Die Basis zu dieser Ausbildung muß nothwendigerweise durch den ersten vorbereitenden Unterricht, durch die Volks- und Töchterschule gelegt werden, so lange dies nicht durchgehends geschieht, ist ein gründliches Besserwerden, eine endgültige Entscheidung unmöglich.

Es handelt sich also in beiden Fällen weit mehr um Feststellung eines durchgreifenden Princips, eines Einlenkens in Wege, die auch wirklich zum erwünschten[132] Ziele führen, als um nur locale Verbesserungen. Die Menschen sind meistens geneigt, anzunehmen, wenn sie selbst etwas Besseres zu Wege gebracht, das müsse nun auch überall so sein, und sie beruhigen sich dabei, während man doch immer das Ganze im Auge behalten und für dieses wirken und streben muß. In diesem Sinne können wir nicht umhin, das weibliche Unterrichtswesen in Deutschland, trotz der eben erwähnten Verbesserungen, noch als sehr mangelhaft zu bezeichnen, vor Allem aber die Ausbildung jener Frauen, die sich dem Erziehungsfach widmen und die doch wahrlich keine Schuld dabei trifft, denn Wo und Wie sollen sie denn Gelegenheit finden, Besseres für sich zu thun? Man überlege nur, wie wenig Aufmerksamkeit man noch bis vor Kurzem überall da, wo die Schul- und Erziehungsfragen zur Erörterung kamen, in Ständen-, Magistrats- und Lehrerversammlungen, dem weiblichen Schulwesen schenkte, wie es in der Regel nur ganz oberflächlich und nebenher behandelt wurde. Es ist das hauptsächliche Verdienst der seit 5–6 Jahren in Deutschland entstandenen Frauenvereine, daß sie sich eingehender damit beschäftigt, und sich bemüht haben, die Gebrechen und Mängel der weiblichen Schule zu verbessern, einestheils, indem man dieselben offen darlegte, anderntheils durch Gründung von Schulen verschiedener Art: Fortbildungsschulen, Gewerbeschulen, Handelsschulen, Fachschulen, Nähschulen u.s.w. Wie trefflich nun auch diese Bemühungen sind, können sie doch nur als Palliativmittel, als Uebergangsstadien betrachtet werden. Wozu neben die schon bestehende Schule, mit großem Aufwand an Geld und Kraft, eine zweite Schule setzen? Suchen wir jetzt, wo die Sache in Fluß ist, mit allen Kräften dahinzuwirken, daß die vom Staat und der Gemeinde[133] ausgehende Mädchenschule, von Oben bis Unten in der Weise reformirt werde, um vernünftigen Ansprüchen gerecht zu werden. Erst dann können im Anschluß an sie, höhere Bildungsanstalten, mögen dieselben nur für wissenschaftliche, gewerbliche oder kaufmännische Berufszweige vorbereiten, mit wahrem Nutzen besucht werden. Eine wirklich sachgemäße Ausbildung dieser höheren Schulen kann überhaupt erst dann stattfinden, wenn die richtige Summe von Vorkenntnissen mitgebracht wird, und man nicht erst noch in jenen Anstalten, wie dies jetzt geschieht, elementare Fächer mit aufnehmen muß.

Um aber dahin zu gelangen, hat man mit aller Entschiedenheit und principiell die ausgetretene Fahrstraße zu verlassen, auf welcher die allgemeine, höhere wie niedere Frauenbildung sich seit mehr als hundert Jahren fortbewegt. Hören wir, wie darüber sich eine weibliche Stimme in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ausspricht, so werden wir gerne gestehen, daß wir seitdem unendlich viel gewonnen, aber auch zugeben müssen, wie es trotzdem immer noch die alten Wege sind, denen man gewohnheitsmäßig folgt:

»Man steht in dem Gedanken, es sei zu unserem Unterrichte genug, wenn man uns die Buchstaben zusammensetzen und dieselben, zuweilen schlecht genug, nachmalen lehrt. Darauf hält man uns eine Französin, um eine fremde Sprache in das Gedächtniß zu fassen, da wir doch die Muttersprache nicht recht verstehen. Unser Verstand wird durch keine Wissenschaft geübt und man bringt uns, außer einigen, oft übel genug aneinander hängenden Grundlehren der Religion nichts bei; ja, auch diese werden meistentheils mehr dem Gedächtnisse, als dem Verstande eingeprägt. Wenn man die Schule verläßt, so verläßt man, wofern ich etwa ein[134] Gebetbuch ausnehme, zugleich alle Bücher. Oder, wenn man je etwas liest, so ist es ein läppischer oder närrischer Roman, wodurch die vorhin eitlen Personen unseres Geschlechts noch mehr in ihrer Eitelkeit bestärkt werden. Die Schriften, die zur Verbesserung des Verstandes oder Willens etwas beitragen könnten, dünken uns zu schwer, zu unverständlich, zu trocken, zu ernsthaft. Und, da man unsere Seele niemals zum Nachdenken gewöhnt hat, so wird es uns sauer, solche Bücher, die mit Ueberlegung gelesen sein wollen, zu verstehen, so daß wir sie wieder von uns werfen, wenn wir sie kaum in die Hände genommen haben!« – Längst, längst ist die Hand, welche diese Worte schrieb, zu Staub geworden, aber sie legen heute noch lautes Zeugniß davon ab, wie nachlässig und unverantwortlich man von jeher die geistige Bildung des weiblichen Geschlechtes betrieben hat, und wie tief und schmerzlich schon seit lange denkende Frauen diese Vernachlässigung empfunden haben. Die Hauptschuld davon trifft ohne Zweifel den Staat und zum Theil auch die Gemeinde, wobei wir jedoch nicht vergessen dürfen, wie eben leider das Gemeindeleben in Deutschland fast ganz unterdrückt war und erst wieder allmälig aufzuleben beginnt. – Wir wiederholen, was Privatpersonen, Frauenvereine und hie und da auch einsichtsvolle Stadtvorstände zur Hebung des weiblichen Schulwesens thun können, geschieht mit Eifer und Fleiß, durchgreifend aber vermögen hier doch nur allgemein gültige und staatliche Gesetze, wie Einrichtungen zu wirken. Mehr und mehr bemühen sich tüchtige Pädagogen, Frauen wie Männer, die sogenannte weibliche Fortbildungsschule, die Krücke, an der das vierzehnjährige, aus der Schule entlassene Mädchen, noch eins bis zwei Jahre mühsam weiter hinkte, um dann als fertig gebildete[135] junge Dame aufzutreten, zu beseitigen und sie in der Form von Oberklassen mit der Töchterschule in der Weise organisch zu verbinden, daß ein fortlaufender Unterricht bis zum 16. Jahre erzielt wird. Mit Leichtigkeit finden sich die meisten Eltern darein und die jungen Mädchen selbst setzen mit dem größten Vergnügen ihre Schulzeit weiter fort. Das Beispiel, welches von solchen höheren Töchterschulen ausgeht – wir nennen unter den Vorzüglichsten die Schulen von Hannover, Köln, Crefeld, Düsseldorf, die Berliner Victoriaschule, die Augustaschule, welche zugleich Lehrerinnen-Seminar ist, u.s.w. – fängt denn auch aller Orten an, sich geltend zu machen. An Mustern fehlt es uns also nicht, wenn ihnen nur die rechte Nacheiferung nicht fehlte, und möge man namentlich an den städtischen höheren Töchterschulen definitiv mit der Gewohnheit brechen, für den höheren Unterricht vorzugsweise Theologen anzustellen. Für unsere Zeit und deren Bedürfnisse hat diese mittelalterliche Gewohnheit durchaus keinen Sinn mehr und kann doch wohl nur auf jenen primitiven Zustand der Mädchenschulen zurückgeführt werden, wo die Töchter der Protestanten, dem Klosterunterricht verlustig gehend, durch Katechismusschulen in den neuen Glaubenslehren unterrichtet wurden. Leider hat die Töchterschule bis heute diesen Charakter der Katechismusschule noch nicht ganz abgestreift; wie denn auch im Zusammenhang damit die modernen Frauen einer Menge von Erwerbszweigen und Fertigkeiten verlustig gegangen sind, die sie früher im Kloster gelernt und ausgeübt hatten, ja heute noch und namentlich in katholischen Ländern ausüben. Es müssen heute der Frau Beschäftigungen, und zwar häufig unter dem Vorwurf der Emancipationssucht, zurückgefordert werden,[136] welche ihnen im Mittelalter ganz unbestritten gehörten. Nennen wir von diesen nur die beiden Wichtigsten: die Krankenpflege und die Erziehung und Belehrung des weiblichen Geschlechts. – Jedenfalls wäre es, hinsichtlich des Letzteren am Platze hier einmal das Verhältniß der protestantischen zu der katholischen Lehrerin näher in's Auge zu fassen. – Während der Staat es bis dahin consequent verneinte, Frauen zu einer höheren, öffentlichen Lehrthätigkeit an protestantischen Mädchenschulen heranzuziehen, während sie nach und nach nur, und zwar hauptsächlich durch städtische Behörden, zu einigen untergeordneten Zweigen, Elementar-Handarbeit- und Sprachunterricht zugelassen wurden, dagegen eine selbstständige Stellung als Lehrerin ihnen nur an Privatschulen gestattet ist, sehen wir die katholische Schulschwester, gewöhnlich die »Englischen Fräulein« unbehindert das Amt der Volkslehrerin in katholischen Gemeinden ausüben, wobei allerdings zu bemerken ist, daß die katholische Gemeinde das Recht hat, für ihre Mädchenschule zwischen Lehrerin und Lehrer zu wählen. Woher nun diese und andere Inkonsequenzen? Sind Frauen nicht fähig Volkslehrerinnen zu werden, so sind sie erstens doch gewiß ebenso unfähig, oder noch unfähiger zu Institutsvorsteherinnen; und fragen wir weiter, ist die katholische Frau höher begabt als die protestantische, daß man sie zur Volkslehrerin macht, und Jene nicht, oder hält man die Belehrung der katholischen Mädchen für weniger wichtig, als die der protestantischen? Wir befinden uns hier einem Dilemma gegenüber, welches andere Staaten schon längst überwunden haben und dessen beständiges Vorhandensein in Deutschland sich nur erklären läßt, durch die mittelalterlichen Anschauungen und Gewohnheiten, in denen[137] man der Mädchenbildung gegenüber vielfach noch befangen ist. Wie sagte doch der alte, biedere Seckendorf in seinem »Christenstaat« über die Frauenerziehung des vorigen Jahrhunderts: »Ein sehr Weniges geschieht in den Mägdleinschulen und bleibet gemeinlich nur bei dem alleruntersten Grade der Catechisation.« Wir haben jedoch gewiß nicht die Absicht die katholische Schule über die protestantische, die Schulschwester über die protestantische Elementar-Lehrerin zu stellen; man würde uns in hohem Grade mißverstehen, wenn man dies annehmen wollte. Wir fassen lediglich das Princip in's Auge, und knüpfen daran den frommen Wunsch, in einer schönen und nicht allzufernen Zukunft Frauen beider Confessionen, auf confessionslosen Seminaren zu tüchtigen Volkslehrerinnen herangebildet zu sehen.

Man merkt es unserer deutschen Frauenjugend aller Stände oft nur zu sehr an, daß ihnen in der Schule, insofern es nicht eine Privatschule ist, fast ganz das weibliche Vorbild und der weibliche Einfluß fehlen. Es ist unberechenbar, wie förderlich es z.B. auf die weibliche Landjugend wirken müßte, wenn sie durch den Unterricht in tägliche Berührung mit einer höher entwickelten Frau gebracht, und ihr auch in häuslichen und wirthschaftlichen Dingen durch die Lehrerin könnte Anweisung und Beispiel gegeben werden. Es muß freilich, wenn wir solche Blicke in die Zukunft thun, dabei unterstellt werden, daß auch die Volkslehrerin dann nicht als eine bloße Lehrmaschine abgerichtet sei, sondern mit ihren Kenntnissen, Erfahrungen auf dem Gebiete des häuslichen Berufes verbinden müsse. Ebensowohl man gegenwärtig damit anfängt, die Volkslehrer in Ackerbau, Obst- und Gemüse-Kultur, Weinbau u.s.w. zu unterrichten, müßte die Volkslehrer in auch in wirthschaftlichen[138] Dingen practisch und erfahren sein, und für das weibliche Kind des Volkes in Land und Stadt, das Gleiche leisten, was Jener für den Knaben. – Es kann doch gewiß Niemand mehr im Ernste glauben, daß die Menschheit wirklich erzogen werden könne, indem man einseitig nur den Mann bildet, erzieht und fördert, um ihm alsdann das Bleigewicht schmutziger, unwissender, eitler, oberflächlicher, koketter Weiber an die Füße zu hängen. Für alle Schichten der Gesellschaft kann doch nur die eine Wahrheit gelten, daß beide Theile des menschlichen Geschlechtes, gleichmäßig zu verständigen, denkenden und arbeitsamen Wesen entwickelt werden müssen, wenn die Menschheit wirklich zu ihrem Rechte, zu ihrer vollsten Entfaltung gelangen soll.

Doch kehren wir von dieser kleinen Abschweifung zu der Töchterschule zurück, so klingt es vielleicht recht hart, aber doch können wir uns der Wahrnehmung nicht entschlagen, wie unsere jungen Mädchen von 15, 16 Jahren keineswegs immer die süßen, holden Engel sind, welche man sich so gerne unter ihnen vorstellt, sondern häufig in hohem Grade herbe, anmaßend und absprechend. Dann erklären die Mütter, sie könnten es mit dem Mädchen zu Hause nicht mehr aushalten, es müsse fort, unter fremde Menschen, wo es sich zusammennehmen lerne, und Dergleichen mehr. Da muß denn doch etwas faul sein in der Erziehung, wenn man, wie zu einem Gewaltmittel seine letzte Zuflucht zum Institute nimmt, dessen sanfter Schliff nun allerdings die rauhen Ecken etwas abpolirt, während unter der glatten Oberfläche gewöhnlich dieselben Fehler haften bleiben und mit in die Ehe genommen werden, wo es sich dann zeigt, was der Mangel an dem feineren Tacte des Herzens, der liebenswürdigen Bescheidenheit und selbstlosen Güte, die[139] der ächte Kern jeder Frauentugend sein müssen, bedeutet. – Wir glauben, daß die Schuld durchaus nicht allein, aber doch vielfach die Schule trifft, wo der männliche Lehrer – wir gestehen gerne Ausnahmen zu – sehr oft des richtigen Tactes entbehrt, und wenig oder gar kein Geschick besitzt, jenen Zartsinn, jenes feinere Schicklichkeitsgefühl zu entwickeln, welches bei dem heranwachsenden Mädchen gepflegt und befestigt werden muß. Wir haben ja auch kaum ein Recht die erwähnten Eigenschaften von dem Manne zu verlangen; weil aber der gerügte Mangel in der Natur der Sache liegt, kann er auch Niemanden verletzen und ist man um so mehr dazu berechtigt auf eine Abänderung, auf eine erweiterte Einführung weiblicher Lehrkräfte in die Mädchenschule zu dringen, worin uns auch viele verständige Lehrer und Pädagogen beistimmen.

Wie wichtig indessen jene zärtere Pflege des Gemüthes, der Empfindung ist, auch darüber herrscht kein Zweifel; man sucht sie in der Regel auf dem Wege der religiösen Einwirkung zu erreichen. So finden wir in fast allen Schulprogrammen für weibliche Erziehungsanstalten einen Hauptnachdruck auf dieses Mittel gelegt und zwar in besonderer Beziehung auf das Geschlecht, von dem man voraussetzt, daß es für diese Einwirkung vorzugsweise empfänglich und dadurch bildungsfähig sei. – Nun sind wir weit davon entfernt, an dieser Stelle eine Discussion darüber zu eröffnen, bis zu welchem Grade nützlich und der Erziehung förderlich die religiöse Einwirkung der Schule sein mag, oder nicht; wir wollten nur hervorheben, daß diese Einwirkung des religiösen Sinnes, von dem man so viel in Mädchenschulen spricht, und die man für so nothwendig hält, dann auch folgerichtig bei der Erziehung des Knaben müßte angewendet[140] werden. Warum auch hier, bei diesem wichtigsten Puncte, bei der sittlichen Erziehung des Gemüthes, die Geschlechter mit verschiednem Maße messen? Wir verlangen immer wieder für die Frau das allgemein »Menschliche«, nichts besonders Zurechtgemachtes, was sie von dem großen Gange der Menschheitsentwicklung absondert. Warum soll sie beten, während der Mann denkt? warum nur empfinden, wo er handelt? warum glauben, wo er prüft und verneint? Man hat bereits durch diese doppelte Buchführung in der Erziehung eine ungeheure Kluft aufgerissen, zwischen den beiden Geschlechtern, man muß sie zu überbrücken suchen, indem man beide Theile den gleichen Weg führt, beiden Theilen dieselben sittlichen und moralischen Anschauungen durch die Erziehung beibringt. Nur so kann, namentlich in der Ehe, eine wirkliche und wahre, eine thatsächlich ethische Uebereinstimmung des Gemüthes erzielt werden. – In Frankreich sehen wir, in Folge der Bigotterie, in der man die Frauen zu erhalten strebt, diese Kluft am weitesten ausgedehnt; die meisten Männer bespötteln dort, was den Frauen, in wunderlichem Gemisch von Glauben und Aberglauben für heilig gilt; in England dagegen wahrt man streng die Form. Aeußerlich wenigstens gehen Mann und Frau die gleichen Wege – Deutschland mit seiner in allen Dingen freieren, individuellen Auffassung würde grade das Land sein, um mit diesem wichtigen Erziehungshebel die rechte Mitte zu treffen. Wir, wie gesagt, enthalten uns jeden Urtheils, wo dieselbe liegt, wiederholen nur den Wunsch, daß sie für beide Geschlechter denselben Ausgangspunct nehme, und können im Hinblick auf die Töchterschulen das Geständniß nicht unterdrücken, wie die Bemühungen, das weibliche Gemüth durch die religiöse Einwirkung zu bilden und zu entwickeln, sehr[141] häufig unwirksam bleibt und wir es für unendlich wirksamer halten würden, dieses Ziel durch den Einfluß und das Vorbild gebildeter, feinfühlender Frauen zu erstreben.

Weit entfernt sind wir jedoch von der Einseitigkeit, den Unterricht und die Belehrung der Mädchen, einzig und allein Frauenhänden anvertrauen zu wollen. Beide Geschlechter sollen dafür zusammenwirken, ja, in vielen Fällen dürfte an einer größeren Anstalt das männliche Directoriat dem weiblichen vorzuziehen sein, unter der Voraussetzung nämlich, daß dieser Mann ein für diesen Beruf gebildeter sei, kein einseitiger Theologe oder Philologe. In ganz ähnlicher Weise aber sollte man wiederum Frauen, wo es eben passend erscheint, auch an Knabenschulen verwenden, wie dies auch bereits in Amerika mit gutem Erfolge geschieht. – Ein innerlicher Gegengrund liegt nicht vor; das Talent zu lehren, zu unterrichten, ist angeboren, wie jedes Andere auch und daß es sich nicht einseitig nur an die Männerseele heftet, genugsam erwiesen. Wenn es aber im Interesse der Gesammtheit liegt, irgend ein Talent zu pflegen, zu fördern und zu erkennen, so ist es das Lehrtalent der einzelnen Individuen und von jeder Einseitigkeit gegen das Geschlecht dabei abzusehen. Ein wirklich guter und fesselnder Lehrer muß durchaus productiver Natur sein; er muß das, was er selbst gelernt, in einer Weise wiedergeben können, daß es dem Schüler den Eindruck macht, als ob er eben Selbstgedachtes vor ihm ausströme und dem wirklich talentvollen Lehrer bietet sich auch im Augenblick des Lehrens eine Menge von verschiedenen Formen und Wendungen dar, durch welche er seinen Gegenstand, wenn er auch schon oft dagewesen, immer neu beleben kann.

Diese Gabe der Reproduction besitzen nun die Frauen[142] in ganz besonderem Grade und wenn sie heute noch häufig bei ihnen, als bloßer Mechanismus, als Gedächtnißsache erscheint, so liegt es einfach darin, daß sie nicht genug durchgebildet sind, um ihren Lehrstoff wie einen geschliffnen Diamanten nach allen Seiten hin blitzen und leuchten zu lassen und doch dabei klar und wahr zu bleiben. – Wer aber dieser wichtigen Frage vorurtheilsfrei mit uns gefolgt, wird sicher zugestehen, daß Lehrkräfte, wie wir sie hier eben characterisirt, nicht eben im Ueberfluß, auch im männlichen Lager vorhanden sind, und man daher um so weniger ein tüchtiges, weibliches Hülfscorps verschmähen sollte. Auch in Deutschland gibt es Lehrerinnen, welche ihre Fähigkeit und Tüchtigkeit zur Genüge erwiesen und wir lassen den Einwand durchaus nicht gelten, daß dies eben besonders bevorzugte Naturen seien, die nicht dazu berechtigten einen Schluß auf das ganze Geschlecht zu ziehen.

In der That sind es heute noch meistentheils, und nicht im Lehrfache allein, bevorzugte Naturen, die sich auf steilen, mühsamen Pfaden, durch autodidactische Bemühungen zu einer höheren Bildung und Leistungsfähigkeit hinaufgearbeitet haben. Mit welchen Drachen und Ungeheuern aber hatten sie nicht zu kämpfen, diese älteren Frauen Deutschlands, die sich heute abmühen, dem jüngeren Geschlechte sanftere Wege zu erkämpfen und zu ebnen, welche es auf einen höheren Schauplatz der Intelligenz und ernster Thätigkeit führen sollen! Dazu gehörte in der That mehr als gewöhnliche Kraft. Aber die nach ihnen kommen, sie werden die Früchte dieser Anstrengungen genießen, und auch das kleinere Talent. Die geringere Befähigung wird kraft der Erziehung und der veränderten Lebensverhältnisse dann ganz dasselbe leisten, wozu heute allerdings noch vielfach eine besondere Begabung gehört.[143]

Ganz gewiß wird es längere Zeit bedürfen, bis die Bildungsfehler, welche durch die seitherige einseitige Entwickelung der Mädchenschule erzeugt wurden, wieder beseitigt sind, bis wir die Oberflächlichkeit ausgemerzt haben werden, die dadurch vielfach bei der jetzt lebenden Frauenwelt hervorgerufen wurde. – Sehen wir uns aber heute nach einem Maßstab um, um zu erkennen, wie mangelhaft die Ausbildung der Frauen war und ist, die sich dem Lehrfache widmen, oder Erzieherinnen werden, so geben uns dafür die Prüfungen, denen man sie unterwirft, oder denen sie sich freiwillig unterziehen, wohl die sicherste Auskunft. Wir glauben, daß man in keinem Zweige des ganzen deutschen Unterrichtswesens so weit hinter den Forderungen der Zeit zurückgeblieben ist, als in der Examenordnung für Frauen. Es ist schwer davon ein klares, deutliches Bild zu geben, weil in jedem Staat und Stäätchen darüber wieder andere Bestimmungen herrschen.

Nur die allgemeinsten Züge lassen sich andeuten und den Wunsch aussprechen, daß ähnlich wie in andern Dingen auch hierin bestimmte und zweckentsprechende Formen und Regeln geschaffen werden.

Am besten geordnet sind unstreitig die Examinas der Frauen, schon seit einer Reihe von Jahren, in Preußen, wo es ja auch allein bis vor Kurzem Lehrerinnen-Seminare gegeben hat. Auf diesen acht Seminaren werden Elementar-Lehrerinnen ausgebildet und auch als solche wiederum an Mädchenschulen angestellt. Dem Examen, welches diese Mädchen zu machen haben, unterwerfen sich dann auch noch freiwillig viele Andere, die sich ihre Bildung an anderen Orten erworben haben. Doch ist die Bestimmung getroffen, daß kein Mädchen dieses Examen vor dem 18. Jahre machen darf. Eine[144] weitere Gliederung findet nicht Statt, es sei denn bei Solchen, die später eine selbstständige Schule begründen wollen. Sie haben sich noch einem pädagogischen Disputatorium zu unterziehen. Was das Examen selbst betrifft, so umfaßt es zunächst die Elementarfächer, Französisch und Englisch, Pädagogik, Religion, und in neuester Zeit auch Handarbeit. Die also Geprüfte kann dann früh oder spät sich ihrem Berufe widmen, ohne weiter durch Prüfungen belästigt zu werden. Als eine Schattenseite dieses Examens müssen wir nach dem Zeugniß umsichtiger Pädagogen erwähnen, daß man bezüglich der Religion viel zu hohe Ansprüche an die Candidatinnen stellt. Man sagt, es sei ein halbwegs theologisches Examen, welches sie abzulegen haben und wodurch, wie man versichert, ihre geistigen und körperlichen Kräfte oft übermäßig angestrengt werden. Wir bemerken dies besonders darum, weil man oft behauptet, die jungen Mädchen seien gar nicht im Stande, solche anstrengende Studien zu machen, ohne ihre Gesundheit zu untergraben. Wir glauben dies gerne, fragen aber nur dagegen, warum müssen sie denn schon für das Leben und seine Anforderungen fix und fertig gebildet sein, in einem Alter, wo der junge Mann erst anfängt für seinen späteren Beruf zu arbeiten? und warum verlangt man von der weiblichen Lehrerin gelehrte Kenntnisse auf dem Gebiete der Theologie, die nur für den Fachmann gehören und die sie später gar nicht einmal wieder verwerthen kann? –

Es wird auch eine Art von Sekundar-Examen in Preußen abgelegt, an den beiden Anstalten, wo Erzieherinnen gebildet werden, die aber dort erst nach den neuesten Bestimmungen mit dem 20. Jahre geprüft und entlassen werden. Wir sehen also, wie man[145] in Preußen diesem Puncte schon lange eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt hat, wobei noch zu bemerken ist, daß bei allen Seminaren der Gebrauch eingeführt ist, die sich ausbildenden Lehrerinnen auch practisch zu unterweisen, indem sie unter den Augen der Lehrer an Elementarklassen unterrichten. –

Unendlich weniger als in Norddeutschland finden wir in Süddeutschland für die Ausbildung von Lehrerinnen und Erzieherinnen gethan. Man überläßt dies lediglich dem Zufall und dem Einwirken mehr oder weniger günstiger Verhältnisse. Es folgt daraus, daß auch das Lehrerinnen-Examen nur ein sehr dürftiges und ungenaues sein kann. Eigentlich wird es von staatswegen auch nur von Denjenigen verlangt, die eine Schule oder ein Institut gründen wollen. Die Prüfung von Hand-Arbeit-Lehrerinnen gehört gleichfalls erst der jüngsten Zeit an und ist seit Kurzem nur erst in Baden und Würtemberg methodisch geordnet. – Angeeifert indessen durch die Ausdehnung, welche die Ausbildung von weiblichen Erzieherinnen genommen hat, ist es in den letzten zehn Jahren Mode, oder sagen wir lieber Gebrauch geworden, daß selbst solche Mädchen, die wenigstens für den Augenblick nicht daran denken, sich dem Lehrfache zu widmen, ihr Examen ablegen, wenn sie die Schule verlassen. Dagegen ließe sich nun an und für sich gewiß nichts einwenden, und würden wir es für eine sehr gute Einrichtung halten, wenn jedes Mädchen nach der eigentlichen Vollendung der Schulzeit mit einem Abgangszeugniß, ähnlich dem Maturitätszeugniß der jungen Männer, entlassen würde.

Daß aber für alle zu Prüfenden das Examen das Gleiche ist – für Schülerinnen von 15–16 Jahren, für reifere Damen, die ein Institut gründen, oder für[146] Andere, die Gouvernanten werden wollen – dies ist kaum glaublich und beweist nur die Richtigkeit unserer Behauptung, wie hier eine ganz veraltete Form mit dem gesteigerten Bedürfniß der Gegenwart im grellsten Widerspruch steht. Ungenügend wie diese Einrichtung ist das Examen selbst; vorerst wird in keinem Elementarfach examinirt, man denke – die meisten dieser examinirten Mädchen werden Erzieherinnen, Hülfslehrerinnen, ohne jeden Nachweis darüber, ob sie für den Elementarunterricht nur entfernt fähig sind; die Institutsvorsteherin gründet eine Schule mit pomphaftem Programm, ob sie dann aber in richtiger Weise den Schreib-, Lese- und den so wichtigen Rechenunterricht zu überwachen weiß, dies bleibt unentschieden. Nun wundere man sich noch, daß so tausendfach ungenau, oberflächlich, ohne Regel unterrichtet wird. Aber noch mehr; eine gewisse Garantie für die Tüchtigkeit der künftigen Lehrerin würde es immer noch sein, wenn sie wenigstens in Pädagogik und Schulkunde gründlich examinirt würde, aber auch davon findet sich erst jetzt ein leiser Anfang, von dem Mangel einer practischen Beweisführung gar nicht zu reden. Ebensowenig wird nach Zeichnen und Handarbeit gefragt; auf Französisch, Englisch, Deutsch, Religion, Kirchengeschichte, Profangeschichte, Literatur, ein bischen Geographie und Naturkunde, darauf beschränkt sich dieses sogenannte Sekundar-Examen, dem kein Primar-Examen vorausgeht.

Der hier geschilderte Zustand herrscht so ziemlich überall im Süden unseres Vaterlandes, nur von den katholischen Lehrerinnen, den englischen Fräulein und Schulschwestern wird ein Elementar-Examen verlangt, weil sie allein das schöne Vorrecht haben, als Volkslehrerinnen angestellt zu werden und zu wirken.[147]

Es darf wohl die Hoffnung ausgesprochen werden, daß dieser Zustand die längste Zeit gedauert, und daß die Einheit Deutschland's auch hierin ein einheitliches Gesetz hervorruft, ein Gesetz, dessen Ausführung für die Zukunft der deutschen Frau die rechte Befähigung zur Erzieherin im vollsten Umfang des Wortes einestheils verbürgt, anderentheils ihr auch die Möglichkeit gibt, diese Befähigung an der rechten Stelle auszuüben und zu bethätigen. Wir können darauf hinweisen, wie weit voran uns die kleinen germanischen Nachbarländer, Holland und die Schweiz, in dieser Beziehung schon sind, namentlich gilt dies von Holland, dessen Examengesetz uns als das Beste von Allen, die wir kennen gelernt, erscheint. Es findet dort eine dreifache Gliederung des Examens statt, als: Hülfs- oder Unterlehrerin, Gouvernante, und Schulvorsteherin. Das unterste Examen ist das der Unterlehrerin, welches sie in keinem Fall vor dem 18ten Jahre ablegen kann, umsoweniger als in Holland durchschnittlich der Schulbesuch so lange fortgesetzt wird, und erst in diesem Alter die Konfirmation vorgenommen wird.

Dieses erste Examen umfaßt die Elementarfächer, während bei dem zweiten Examen, dem der Erzieherin, noch die fremden Sprachen, und die Handarbeiten dazu kommen.

Das dritte Examen endlich, das der Schul-Vorsteherin, darf nicht vor dem 23ten Jahre abgelegt werden und ist natürlich in allen Zweigen umfassender und gründlicher, als die beiden ersten Prüfungen. Es kommt hier nicht darauf an, näher aufzuzählen, in welchen Fächern examinirt wird, in welchen nicht, wir haben es nur mit der sehr vernünftigen und sachgemäßen Organisation dieser Prüfungen zu thun. – Dagegen gewinnt[148] denn aber auch die als Schul-Vorsteherin Geprüfte das Recht auf eine Anstellung von Seiten der Gemeinden, in deren Händen bekanntlich in Holland die Verwaltung des ganzen Unterrichtswesens liegt. In den letzten Jahren hat Holland unendlich viel für die Ausbildung des weiblichen Unterrichts gethan; treffliche Töchterschulen, die nicht mehr wie sonst, den Hauptnachdruck auf die Erlernung fremder Sprachen legen, sind gegründet, drei Lehrerinnen-Seminare errichtet, und zugleich die sehr weise Bestimmung getroffen worden, daß eine geprüfte Lehrerin mindestens nach Ablauf eines Jahres ihren Beruf ausüben muß. Zögert sie länger damit, so hat sie sich, sobald sie in practische Thätigkeit tritt, einer neuen Prüfung zu unterwerfen, weil man annimmt, und mit Recht, sie möge nach mehrjähriger Zerstreuung durch andre Dinge, einen Theil der nothwendigen positiven Kenntnisse wieder eingebüßt haben, wobei noch zu bemerken, daß selbstverständlich, wie dies auch früher schon der Fall gewesen, der Unterricht an den Mädchenschulen hauptsächlich durch Frauen ertheilt wird. Wie mangelhaft ist dies Alles dagegen bei uns eingerichtet, wo ein 16jähriges Mädchen durch die einmalige, unzulängliche Prüfung das Recht erwirbt, wie, wo und wann sie will, als geprüfte Lehrerin aufzutreten. Daß man solchen Kräften mit Recht mißtraut, ihnen keine höhere Lehrthätigkeit anvertrauen kann und mag, ist ganz in der Ordnung, aber wen trifft die Schuld solcher Mißverhältnisse?

Aehnlich wie die holländischen Einrichtungen bieten auch die der Schweiz der Lehrerin einen ehrenvollen und anständigen Erwerbszweig. Nicht in allen, aber in vielen Kantonen sind Primar- und Sekundar-Lehrerinnen fest angestellt, die vorher durch entsprechende Prüfungen[149] ihre Fähigkeit bewiesen, und rüstig schreitet der protestantische Theil der Schweiz fortwährend in Entwicklung seines weiblichen Schulwesens voran. An allen höheren Töchterschulen sind Frauen angestellt, auch für den höheren Unterricht, nicht allein an den Elementarklassen, oder für Handarbeit und Sprachen.

Vor zehn Jahren schon hatten wir Gelegenheit in Bern eine solche Schule kennen zu lernen, die als musterhaft gelten konnte und hauptsächlich durch weibliche Kraft getragen wurde. Ihr verdienstvoller Director hatte den Versuch gemacht, wie weit dies möglich sei, und er gelang ihm so gut, daß, als wir die Anstalt kennen lernten, neben nur fünf männlichen Lehrern, 20 Lehrerinnen an ihr wirkten. Jeder Klasse stand eine Klassenlehrerin selbständig vor, mit der Verpflichtung allen Unterricht in ihrer Klasse ertheilen zu können. – Die drei Oberklassen dieser Schule, in die kein Mädchen vor dem vollendeten 16. Jahre aufgenommen wurde, bildeten ein Seminar für Lehrerinnen, sowohl für Primar- als für Sekundar-Lehrerinnen, und an diesen ertheilte der Director selbst den Hauptunterricht; die Thätigkeit der vier übrigen Lehrer erstreckte sich nur auf Religion, Zeichnen, Rechnen und Französisch, zur Unterstützung für die Klassenlehrerinnen. Es war durchaus nicht der Zweck jener Schule, sogenannte, gelehrte Frauen zu erziehen, wohl aber die ihr anvertrauten Mädchen für jeden ferneren Lebensberuf fähig zu machen; vorerst sie zu tüchtigen Frauen und Müttern und befähigten Lehrerinnen heranzubilden, sodann ihnen die Möglichkeit zu gewähren, mit späteren, ernsteren Studien, an eine gründliche Schul- und Vorbildung anknüpfen zu können. Wie wenig dabei die Ausbildung für den »weiblichen Beruf« außer Acht gelassen wird, beweist jene Bestimmung bei den[150] Prüfungen, wonach jede Candidatin des Primar- und des Sekundar-Examens, ein von ihr gefertigtes Hemde, ein Paar Strümpfe und eine Weißstickerei vorzulegen hat. – Indem die Klassenlehrerin das war, was sie nach der Absicht des Director's sein sollte, die Mutter ihrer Klasse, war es ihr auch möglich, nicht allein unterrichtend, sondern auch erziehlich auf jede einzelne Schülerin einzuwirken und mochte dies um so mehr, als die Durchschnittszahl der Schülerinnen 24 – 30, höchstens 36 Mädchen betrug. Die schöne und würdige Stellung, welche die Lehrerin an der Schule einnahm, war es auch zumeist, was den Geist des einträchtigsten Zusammenwirkens hervorrief; sie wohnten den wöchentlichen Schul-Konferenzen bei, gaben ihre Klassenberichte und machten Vorschläge, wo ihnen Solche als passend erschienen. Einige der Lehrerinnen hatten sich zu einem hohen Grade des Wissens aufgeschwungen. Der höhere naturwissenschaftliche Unterricht an dem Seminar: Physik, Chemie, Botanik u.s.w. wurde damals von einer Dame ertheilt, die in diesen Fächern von den Professoren der Universität examinirt worden war; sie selbst war von früher Jugend an, eine Schülerin der Anstalt gewesen, an der sie nun wirkte. – Besonders angenehm jedoch fühlte man sich dadurch berührt, daß man hier eine Volksschule im besten Sinne des Wortes vor sich hatte.

In den Seminar-Klassen saß neben dem städtischen Mädchen die Bäuerin in ihrem kleidsamen Anzug, und zwei Unterlehrerinnen, die bei den Elementarklassen thätig waren, trugen die schöne Oberländertracht. –

Wir wollten es nicht unterlassen, dieses lebendige Beispiel weiblicher Lehrthätigkeit in unserer Nähe zu erwähnen, ehe wir auf Amerika hindeuten, wo sich auch bekanntlich schon seit längerer Zeit die Unterrichtsfähigkeit[151] der Frauen an Elementarschulen, so wie an höheren und höchsten Schulanstalten bewährt und als genügend erwiesen hat. – In einem so rasch aufstrebenden Lande, das gar nicht Kräfte genug verbrauchen kann, mußten die kleinlichen Unterschiede, die man bei uns noch in solchen und andern Dingen zwischen den Geschlechtern macht, von selbst wegfallen. Wer etwas leisten kann, Mann oder Frau, findet dafür Raum und so übersteigt in Amerika die Zahl der Lehrerinnen bei Weitem die der Lehrer, durch treffliche Normal-Schulen, oder Seminare ist für die Ausbildung der Volkslehrerinnen gesorgt, wie überhaupt in den nördlichen Staaten der Union das Unterrichtswesen in vieler Beziehung geradezu musterhaft genannt werden kann. – Neben den weiblichen Normalschulen, existiren höhere Bildungsanstalten wie Europa Keine aufzuweisen hat, in denen sowohl die exacten, als die klassischen Wissenschaften ebenso gründlich gelehrt werden, wie bei uns an Gymnasien und Universitäten. Es ist namentlich das berühmte Vassar-College, welches jährlich Hunderten von Frauen eine Bildung und Belehrung vermittelt, wie man sie bisher als nur für den Mann erreichbar hielt. Welche Früchte diese Bestrebungen tragen, beweist die Anstalt selbst, an welcher in größerer Anzahl weibliche, als männliche Professoren wirken und zuverlässige Berichterstatter erzählen uns bewundernd, wie sie aus dem Munde von Frauen verwickelte Sätze der Mathematik erklären, oder die griechischen Schriftsteller nach dem Original erläutern hörten.

Solche Beispiele sollten genügende Beweise ablegen von der Bildungsfähigkeit der Frau, sollten aber namentlich endlich dahin führen, daß man in Deutschland jene Lehrerinnen, die sich trotz der Ungunst der Verhältnisse zu hoher Tüchtigkeit aufgeschwungen, nicht mehr von[152] staatswegen zu einer untergeordneten Thätigkeit verdammt, so daß sie nur im Stande sind in Privatschulen ihre Kraft auszunützen und oft zu zersplittern. Die Zeit kann nicht ferne sein, wo auch wir unsere Vassar-Colleges, unsre weiblichen Gymnasien und Fachschulen haben werden, aber sie sollen und können nur in dem gesunden Boden einer tüchtigen Schulvorbereitung kräftige Wurzeln schlagen, und der künftigen Lehrerin vor Allem muß diese Vorbereitung gegeben werden. Ihr dieselbe aber vorenthalten und dann spöttisch sagen: Seht Ihr wohl, die weibliche Natur ist solchen Aufgaben nicht gewachsen! dies ist nicht redlich gedacht.

Dabei ist noch wohl zu bedenken, wie der Staat, indem er in größerer Anzahl Frauen als Lehrerinnen anstellt und verwendet, er damit wieder nur einer Pflicht gerecht wird gegen einen Theil seiner Staatsangehörigen, die dadurch Erwerb und Lebensunterhalt finden; wie er sich wiederum selbst dadurch bereichert, indem er den Schatz geistiger Kräfte zu heben und zu verwerthen sucht, der so lange brach und unbenutzt gelegen.

Aber wir zweifeln gar nicht daran, daß alle Wünsche, die wir hier ausgesprochen, nur Fragen der Zeit sind, daß man ernstlich Hand an das Werk legen, und der Frau volle Lehrfreiheit garantiren wird, so weit als eben ihre Kräfte reichen. Man bestreitet, daß der weibliche Geist genügende Tiefe zu abstracten und weitgehenden, wissenschaftlichen Forschungen habe und man muß es der Zeit überlassen, den Beweis dafür oder dagegen zu erbringen, aber daß er genügende Biegsamkeit besitzt, die Resultate der Wissenschaft in sich aufzunehmen, zu verbreiten, und zu reproduciren in klarer, gefälliger Form, dies ist bereits hinlänglich erwiesen, auch in Deutschland, und wir wüßten aus diesem Grunde keine andre Beschränkung[153] der weiblichen Lehrfreiheit aufzustellen, als die Gränze, welcher jedes Individuum durch seine natürliche Begabung unterworfen ist. In den letzten Jahren sind in Deutschland häufig Frauen mehr oder weniger öffentlich als Lehrerinnen, oder Rednerinnen aufgetreten. Bei Frauen-Conferenzen, in Bildungs-Vereinen für Frauen und an den in den letzten Jahren gegründeten Lyceen für Damen, wo im Verein mit Männern fortlaufende, einen Gegenstand erschöpfende Vorträge über Literatur, Geschichte, Kunstgeschichte u.s.w. gehalten werden. – Was hierin einzelne Pioniere oder Vorkämpfer, die Alle mehr oder weniger Auto-Didacten sind, leisten, werden Mehrere noch weit besser vollbringen sobald sie methodisch dazu vorgebildet sind. – Schließen wir also mit der froh ausgesprochnen Hoffnung, in nächster Zukunft der höheren weiblichen Thätigkeit eine Arena eröffnet zu sehen, zu der sie recht eigentlich von der Natur bestimmt sind, und von der sie nur durch die eigenthümliche Entwicklung unseres deutschen Staats- und Gesellschaftslebens so lange zurückgehalten wurden! –[154]

Quelle:
Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig 41872, S. CXXXI131-CLV155.
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