Das Dörfchen

[221] Ich rühme mir

Mein Dörfchen hier!

Denn schön're Auen,

Als rings umher

Die Blicke schauen,

Blüh'n nirgends mehr.

Welch ein Gefilde,

Zum schönsten Bilde

Für Dietrichs Hand!

Hier Felsenwand,

Dort Ährenfelder

Und Wiesengrün,

Dem blaue Wälder

Die Gränze ziehn!

In jener Höhe

Die Schäferei,

Und in der Nähe

Mein Sorgenfrei![221]

So nenn' ich meine

Geliebte, kleine

Einsiedelei,

Worin ich lebe,

Zur Lust versteckt,

Die ein Gewebe

Von Ulm' und Rebe

Grün überdeckt.


Dort kränzen Schlehen

Die braune Kluft,

Und Pappeln wehen

In blauer Luft.

Mit sanftem Rieseln

Schleicht hier gemach

Auf Silberkieseln

Ein heller Bach;

Fließt unter Zweigen,

Die über ihn

Sich wölbend neigen,

Bald schüchtern hin;

Läßt bald im Spiegel

Den grünen Hügel,

Wo Lämmer gehn,

Des Ufers Büschchen

Und alle Fischchen

Im Grunde sehn,

Da gleiten Schmerlen

Und blasen Perlen.

Ihr schneller Lauf

Geht bald hinnieder,

Und bald herauf

Zur Fläche wieder.


Schön ist die Flur;

Allein Elise

Macht sie mir nur

Zum Paradiese.


Der erste Blick

Des morgens wecket

Auch unser Glück.

Nur leicht bedecket[222]

Führt sie mich hin,

Wo Florens Beete

Die Königin

Der Morgenröte

Mit Thränen näßt,

Und Perlen blitzen

Von allen Spitzen

Des Grafes läßt.

Die Knospe spaltet

Die volle Brust;

Die Blume faltet

Sich auf zur Lust.

Sie blüht, und blühet

Doch schöner nicht,

Als das Gesicht

Elisens glühet.


Wanns heißer wird

Geht man selbander

Zu dem Mäander,

Der unten irrt.

Da sinkt zum Bade

Der Schäferin,

An das Gestade,

Das Röckchen hin.

Soll ich nicht eilen,

Die Lust zu teilen? –

Der Tag ist schwül,

Geheim die Stelle,

Und klar und kühl

Die Badequelle.


Ein leichtes Mahl

Mehrt dann die Zahl

Von unsern Freunden.

In weichem Gras,

An Pappelweiden,

Steht zwischen Beiden

Das volle Glas.

Der Trunk erweitert

Nun bald das Herz,

Und Witz erheitert

Den sanften Scherz.[223]

Sie kömmt, und winket,

Und schenkt mir ein,

Doch lachend trinket

Sie selbst den Wein;

Flieht dann und dünket

Sich gut versteckt;

Doch bald entdeckt,

Muß sie mit Küssen

Den Frevel büßen.


Drauf mischet sie

Die Melodie

Der süßen Kehle

In das Ahi

Der Philomele,

Die so voll Seele

Nie sang, wie sie.


So zirkeln immer

Lust und Genuß,

Und Überdruß,

Befällt uns nimmer.


O Seligkeit!

Daß doch die Zeit

Dich nie zerstöre!

Mir frisches Blut,

Ihr treuen Mut

Und Reiz gewähre!

Das Glück mag dann,

Mit vollen Händen,

An Jedermann,

Der schleppen kann,

Sich arm verschwenden.

Ich seh' es an,

Entfernt vom Neide,

Und stimme dann

Mein Liedchen an,

Zum Tanz der Freude:

Ich rühme mir

Mein Dörfchen hier!
[224]

Quelle:
Bürgers Gedichte in zwei Teilen. Teil 1: Gedichte 1789. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart 21914, S. 221-225.
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