Sage von Alexandern

[420] Nach dem Talmud


In alten Büchern stöbr ich gar zu gern,

Die neuen munden selten meinem Schnabel,

Ich bin schon alt, das Neue liegt mir fern.

Und manche Sage steigt, und manche Fabel

Verjüngt hervor aus längst vergeßnem Staube,

Von Ahasverus, von dem Bau zu Babel,

Von Weibertreu, verklärt in Witwenhaube,

Von Josua, und dann von Alexandern,

Den ich vor allen unerschöpflich glaube;

Der strahlt, ein heller Stern, vor allen andern;

Wer gründlich weiß die Mitwelt zu verheeren,

Muß unvergeßlich zu der Nachwelt wandern.

Wer recht uns peitscht, den lernen wir verehren;

Doch plaudert das Geheimnis mir nicht aus,

Und sorgt nur eure Gläser schnell zu leeren.

Ich geb euch alten Wein beim schmalen Schmaus

Und tisch euch auf veraltete Geschichten,

Ihr seid in eines alten Schwätzers Haus.

Ich will von Alexandern euch berichten,

Was ich im Talmud aufgezeichnet fand,

Ich wage nicht ein Wort hinzuzudichten.

Durch eine Wüste zog der Held, ins Land,

Das drüben lag, Verwüstung zu verbreiten,

Da fand er sich an eines Flusses Rand;

Und er gebot zu rasten, von dem weiten

Fahrvollen Marsch erschöpft, und hieß sein Mahl

Am schönbegrünten Ufersaum bereiten.

So still und friedlich blühend war das Tal,

So klar der Strom, der Schatten von den Bäumen[420]

So duftig kühl im heißen Mittagsstrahl.

Doch mochte nur der Ungestüme träumen

Geraubte Kronen und vergoßnes Blut,

Verdrossen, hier die Stunden zu versäumen.

Er stieg, des Durstes fieberhafte Glut

Zu löschen, zu dem Wasserspiegel nieder,

Er schöpfte, trank die kühle, klare Flut;

Und wie er die getrunken, fühlt' er wieder

So wunderbar verjüngt den Busen schwellen,

So hohe Kraft durchströmen seine Glieder.

Da wußt er nun, daß dieses Flusses Wellen

Entströmten einem segensreichen Lande,

Und Fried und Glück umblühten seine Quellen.

Dahin, dahin mit Schwert und Feuerbrande!

Sie müssen dort auch unsern Mut erfahren,

Und kosten unsern Stahl und unsre Bande!

Da hieß er schnell sich rüsten seine Scharen,

Und drang den Strom hinauf beharrlich vor,

Das Land zu suchen, wo die Quellen waren.

Und mancher Tapfre schon den Mut verlor, –

Vor drang der kühne Held doch unverdrossen;

So kam er vor des Paradieses Tor.

Fest aber war das hohe Tor verschlossen,

Davor ein Wächter, der gebot ihm Halt

Mit Blitzesschwert und Donnerkeilsgeschossen.

»Zurück! zurück! was frommte dir Gewalt?

Ein Mächtigerer hat mich hier bestellt,

Des Herrn und heilig ist der Aufenthalt.«

Und er darauf: »Ich bin der Herr der Welt,

Bin Alexander.« Jener drauf: »Vergebens!

Du hast dein Urteil selber dir gefällt.

Dem Sel'gen öffnet sich das Tor des Lebens,

Der selber sich beherrscht, nicht Deinesgleichen,

Dem stolzen Sohn des blutig wirren Strebens.«

Drauf Alexander: »Muß vor dir ich weichen,

Nachdem ich diese Stufen schon betrat,

Gib, daß ich sie betreten, mir ein Zeichen;

Ein Mal; die Welt erfahre, was ich tat,

Erfahre, daß dem Tor des Paradieses

Der König Alexander sich genaht.«

Darauf der Wächter: »Sei's gewährt! nimm dieses.[421]

Wie töricht deiner Weisen Weisheit war,

Dein blöder Wahn, dein Frevelmut bewies es.

Nimm, was es dir zuschreien möge, wahr

Und lern es, Unbesonnener, erwägen,

Es hegt der Weisheit Lehren wunderbar.

Nimm hin, und Weisheit leuchte deinen Wegen!«

Er nahm's und ging. Ihr aber, Freunde: trinkt!

Verträumt mir nicht den lieben Gottessegen.

Oh, lernt beherzt die Freude, die euch winkt,

Mit rascher Lust, wie sich's gebührt, erfassen,

Und leert den Becher, wann er perlend blinkt!

Ich hätt es, glaubt's mir, weislich unterlassen,

Wär jener ich gewesen, meine Tage,

Die kurzgezählten, blutig zu verprassen.

Ich lieb und lobe mir, daß ich's euch sage,

Die Ruh, den Schatten und ein liebend Weib,

Die mich verschont mit leid'ger Liebesklage.

Die Kinder sind mein liebster Zeitvertreib,

Nur halt ich, die unbändig bengelhaft

Unmäßig schreien, ferne mir vom Leib.

Ich lieb und lobe mir die Wissenschaft,

Und dann die heitre Kunst, der Musen Gabe,

Und wackrer Freunde Kunstgenossenschaft.

Ich liebe, hört ihr, was ich alles habe;

Doch lieb ich auch, was ich entbehren muß,

Den Wein, woran mein Menschenherz sich labe.

Ich trinke meist nur Wasser aus dem Fluß,

Und kann's mit bestem Willen doch nicht loben;

Getrunken hab ich's mir zum Überdruß.

Hat Menzel mir den Lorbeerkranz gewoben,

Und hat auch Deutschland Einspruch nicht getan,

Ich wollt, ich hätte bessern Lohn erhoben.

Den Lorbeer biet ich meiner Frauen an,

Sie braucht ihn in der Wirtschaft nicht, und ehrlich

Gestanden, ist's damit ein leerer Wahn.

Der Lorbeer und der Hochmut sind gefährlich;

Von Deutschland möcht ich lieber mir bedingen

Ein Fäßchen Wein, ich mein ein Fäßchen jährlich.

Und welche Lieder wollt ich da nicht singen!

Und... O Popoi! wo bin ich hin geraten!

Wer kann auf die verlorne Spur mich bringen?[422]

Ich sprach von Alexanders Heldentaten.

Berufen hatt er um sich seine Weisen,

Das Gastgeschenk des Wächters zu beraten.

Er ließ zornfunkelnd rings die Augen kreisen:

»Gebührte mir, dem Helden, solcher Hohn!

Was soll der morsche Knochen mir beweisen?!«

Ein Weiser sprach: »Du sollst, o Philipps Sohn,

Auch diesen morschen Knochen nicht verachten;

Weißt du zu fragen, gibt er Antwort schon.«

Und auf Geheiß des weisen Meisters brachten

Sie eine Waage, deren eine Schale

Mit Gold und aber Gold er hieß befrachten.

Und in die andre legt' er bloß das kahle,

Das kleine Knochenstück, und, wundersam!

Die senkte schnell und mächtig sich zu Tale.

Und Alexander, den es Wunder nahm,

Ließ Gold noch zu dem Golde häufen, ohne

Daß selb'ge Schale nur ins Schwanken kam.

Da warf er Zepter noch hinein und Krone;

Die überfüllte Schale schwankte nicht,

Und ihn befiel Entsetzen auf dem Throne: –

»Was stört hier unerhört das Gleichgewicht?

Was kann die Kräfte der Natur erwecken?!«

Der Meister drauf: »Das ist der Erde Pflicht.«

Mit wen'ger Erde ließ er da verdecken

Das Knochenstück, das wurde leicht sofort,

Und nieder sank das goldbeschwerte Becken.

Der König staunend: »Sprich, was wurde dort

In Wundern und in Rätseln ausgesprochen?«

Vortrat der Meister und ergriff das Wort:

»Ein Schädel, gleich dem deinen, ward zerbrochen,

Und Höhlung eines Auges, so wie deines,

War einst in seinen Tagen dieser Knochen.

Es ist des Menschen Auge nur ein Kleines,

Das doch in ungemeßner Gier umfaßt,

Was blinkt und gleißet in der Welt des Scheines.

Es fodert Gold und aber Gold zur Mast,

Und wird es ungesättiget verschlingen,

Und Krön und Zepter zu des Goldes Last.

Da kann's der dunklen Erde nur gelingen,

Genug zu tun der Ungenügsamkeit;[423]

Der Gierblick wird aus ihr hervor nicht dringen.

Gehalt und Wert des Lebens und der Zeit

Erwäge du, dem diese Lehren galten;

Du siehst das Ziel der Unersättlichkeit.«

Des Fürsten Stirne lag in düstern Falten,

Bald schüttelt' er sein Haupt und sprang empor,

Und rief, daß rings die Klüfte widerhallten:

»Auf, auf! zum Aufbruch! tragt die Zeichen vor!

Ja, flüchtig ist die Zeit und kurz das Leben;

Schmach treffe den, der Trägheit sich erkor!«

Und zu den Wolken sah man sich erheben

Den Sand der Wüste, und vom Hufschlag fühlte

Man rings den aufgewühlten Grund erbeben.

So zog der Held nach Indien hin, und wühlte

Großartig tief und tiefer sich in Blut,

Bis ihm den Übermut die Erde kühlte.

Ich habe selbst vergessen, wo er ruht;

Es kamen Würmer, sich an ihm zu letzen,

Und andre taten's am geraubten Gut.

Ihr göttlich Recht sei's Frevel zu verletzen,

Schrien überlaut, die angeklammert lagen

Auf seines Purpurs abgerißnen Fetzen.

Es ging schon damals, wie in unsern Tagen;

Ich habe zum Historiker mich nicht

Bedungen, laßt es euch von andern sagen.

Wein her! frisch eingeschenkt! was Teufel ficht

Uns Alexander an! So laßt erschallen

Ein altes gutes Lied, ein Volksgedicht;

Das Neue will nur selten mir gefallen.


Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 420-424.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe letzter Hand)
Gedichte Und Versgeschichten
Peter Schlemihls wundersame Geschichte und ausgewählte Gedichte.
Chamissos Werke: Erster Teil: Gedichte
Gedichte: Ausgabe letzter Hand
Hundert Gedichte

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Drei Erzählungen aus den »Neuen Dorf- und Schloßgeschichten«, die 1886 erschienen.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon