Nro. 2

[375] Es ist meine Meinung hier nicht, eine Verteidigung des Generalsuperintendenten zu führen. Seine Absicht allein verteidigt ihn, und braucht meiner Verteidigung nicht. Ich habe es bloß mit dem Ungenannten zu tun, und will bloß seine, des Ungenannten, Denkart, Kenntnisse und Einsichten, oder seine Gelehrsamkeit und seine Weisheit vor Gesicht ziehen und offenlegen, damit jedermann dem Ritter unter Helm und Küraß sehen könne. Doch kann der Fall wohl eintreten, daß ich den Generalsuperintendenten verteidigen muß, weil eines ohne das andre nicht geschehen kann; und da werde ich ihn freilich verteidigen, und er wird nicht übelnehmen, daß ich es da eigenmächtig und ohne seine Erlaubnis tue.

Ich mache den Anfang mit der Sprache, die dem Ungenannten ungemein am Herzen liegt.[375]

Mancher würde bei einer Schrift, die nicht eigentlich an ihn noch an das große Publikum sondern nur an einen bestimmten kleineren Zirkel gerichtet ist, die nach Anzeige des Verfassers unter mancherlei Abhaltungen und Geschäften, die endlich nicht zur Parade sondern um der Sache und um einer sehr guten Sache willen geschrieben worden – – mancher würde sich bei einer solchen Schrift über Stil und Sprache und über mehr als das gar hinweggesetzt, oder sich doch auf Lindigkeit und Nachsicht eingelassen haben. Aber auf so etwas läßt sich der Ungenannte nicht ein. Er sieht nichts nach; er ist hart und orthodox, und baut und bessert per fas und nefas, allüberall an Perioden, (pag. 4, 5, 12, 18, 21, 35), auch an einzelnen Worten (pag. 9, 39, 49, 61) ja sogar an einzelnen Buchstaben (p. 31, 35), mit einer Behendigkeit und Agilität, als wenn er von irgendeiner della Crusca dazu erbeten, oder von Obrigkeits wegen eigends dazu bestellt wäre.

Ich will mit ihm so hart und orthodox nicht sein. Ich will ihm seine: alte Aufklärung, statt: Aufklärung (pag. 55); sein: Herr C., statt: Herrn C. (p. 56 unten); sein: eine löblicher Entschluß, statt: ein löblicher Entschluß (pag. 33); sein: ephemirisches Spiel, statt: ephemerisches (pag. 29); sein: Bewußsein, statt: Bewußtsein (pag. 59); sein: mit zween Predigern, statt: zweenen, nach Gottsched, und besser: zwei oder zweien nach Adelung (p. 39); sein: den, statt: denn (p. 37); sein: könnet, statt: könnte (pag. 22); sein: unter der lebt, statt: unter der er lebt (pag. 61); seine: vorgefallene Maßregel, statt: vorgeschlagene Maßregel (p. 34) etc.; auch daß er (pag. 32) in der Hamburger Neuen Zeitung eine Fabel hat einrücken lassen, da man die Fabeln eigentlich in die Hamburger Neue Zeitung einrücken läßt – das alles und mehr dazu will ich ihm als Druckfehler und Nachlässigkeiten, die er besser weiß und wenn er Zeit und Lust gehabt hätte geändert haben würde, hingehen lassen, und darum nicht glauben, und noch viel weniger sagen, daß ich die Sprache mehr verstehe als er.

Und ich denke fast, er hätte ebensogut getan, wenn er es auch so gemacht hätte.

Überhaupt denke ich, er hätte ebensogut getan, wenn er den Mann, der, nach Pagina 9, »als Privatmann sehr nützlich sein und viele Achtung verdienen kann« etc., lieber hätte gehen lassen. Man soll doch das Nützliche nicht stören. Auch ist es eine schöne und freie Kunst, die beleidigte Ehre eines unbescholtenen[376] Nachbars zu retten; und die andre Kunst ist doch nicht so schön und nicht so frei etc.

Wenn indes jemand auf solche Kleinigkeiten nicht sehen kann, und den Gang der Wahrheit im ganzen zu versehen hat; wenn er sich der »gegenwärtigen Generation« annehmen, und gegen die Schriftsteller »die, gleich Kobolden, immer dreister werden je stiller und dunkler es um sie her wird« (p. 8), nun einmal ausrücken und zu Felde ziehen muß;


Zaccaria venne con ducento eletti

Parte asini con fren, parte cavalli.


Nun, so soll er wenigstens den Zeug dazu haben, und nicht unwissender sein, als der den er der Unwissenheit zeihen will.

Wer je einmal in seinem Leben in Ernst an den bewußten Balken Hand gelegt hat, der weiß wohl, daß denn die Lust: an dem Splitter im fremden Auge zu hantieren, ziemlich zu vergehen pflegt, und daß ein solcher den ersten Stein nur langsam aufhebt. Ich will von dem Ungenannten das Beste hoffen; aber mir ahndet, bei seiner großen Behendigkeit und Agilität, nicht viel Gutes.

P. 10. »Man wäre ohne Zweifel berechtigt in diesem Abschnitte« (nämlich über den Wert der philosophischen Aufklärung unsrer Zeit) »eine Prüfung der großen Revolution, die sich seit mehreren Jahren in der Philosophie ereignet, eine Vergleichung des neuern philosophischen Systems mit den älteren, eine Bestimmung des Werts des einen oder der andern zu erwarten. Von allen dem aber nicht ein Wort.«

Wie sollte es nun wohl in diesem Punkt mit dem Ungenannten stehen? –

Ich reite ihm auf seinem eigenen Pferde entgegen.

»Man wäre ohne Zweifel berechtigt in diesen Bemerkungen« (darin der Ungenannte zwar nur hauptsächlich über die Politik Auskunft geben will, aber doch gelegentlich die Theologie mitnimmt, und, in verschiedenen Lektionen, p. 15, 18, 19, 20, 22, 23, 45, 55, 65, 66 den dem Bisherigen noch anhangenden Generalsuperintendenten eines Bessern belehren will) »eine Prüfung der großen Revolution, die sich seit mehreren Jahren in der Theologie ereignet, eine Vergleichung des neuen theologischen Systems mit dem älteren, eine Bestimmung des Werts des einen oder des andern zu erwarten. Von dem allen aber nicht ein Wort.«

Doch nein, das grade nicht. Worte wohl. Aber, obgleich er,[377] der Ungenannte, »nur wenig Allgemeines sagen will« (p. 21), doch auf allen 66 Seiten keine einzige besondre Spur von theologischer Lehre, außer Pagina 56: »daß der gelehrte Eckermann die Distinktion zwischen Lehrform und Lehre bekanntlich recht ins Licht gesetzt hat«.

Im Vorbeigehn muß ich bei dieser einzigen Spur, für den sprachkritischen Ungenannten, bemerken: daß das Wörtlein recht hier zwar nicht eigentlich un-recht, aber doch auch nicht eigentlich recht gesetzt sei; weil es hier, so gesetzt, eine unangenehme Zweideutigkeit erregen und auf die Gedanken bringen kann – entweder: daß andre Theologen die besagte Distinktion un-recht ins Licht gesetzt haben, der Herr Doktor und Professor Eckermann aber recht; oder: daß dieser gelehrte Mann diese Distinktion recht ins Licht, andre Distinktionen aber unrecht hineingesetzt habe, welches der Ungenannte doch gewiß nicht hat sagen wollen.

Weil denn er, der Ungenannte, in dem Felde der theologischen Gelehrsamkeit nicht anzutreffen gewesen ist; so will ich ihn nun in dem Felde der philosophischen aufsuchen, und hier werde ich ihn vermutlich auch antreffen. Denn, da er selbst, Pagina 8, zwar nicht sehr bescheiden aber doch sehr artig und ominös, zu verstehen gibt, daß »die Stimme der Vernunft sich durch ihn hören läßt«; so wird er doch neugierig gewesen sein zu wissen: durch wen sie sich, vor ihm, hat hören lassen. Er wird, sage ich, doch neugierig gewesen sein, und näher und umständlich verkundschaftet haben: über was die Vernunft sich, in der langen Strecke vom Aristoteles bis an ihn, hauptsächlich und nebensächlich habe hören lassen, und wer, sonst und zu der und jener Zeit, ihr besondrer Freund und Liebling gewesen, und wie und warum er es gewesen, usw.

Er, der Ungenannte, kann freilich seine Ursachen haben, warum er mit einer solchen eingezogenen nähern Kundschaft zurückhält; aber wirklich hält er sehr damit zurück. Sogar hat er auf seinen 66 Seiten sich nichts entgehen lassen, daraus der Leser mit Gewißheit wissen könne, daß er nur den berühmtesten unter den neuen Philosophen, den itzo alle Welt liest, gelesen habe. Er spricht zwar (pag. 58) von »Fortschritten der kritischen Philosophie«, aber nur sehr ins große Blaue. Er spricht zwar (pag. 2, 7, 36, 37) von reiner Philosophie, reinen Begriffen, reinen Grundsätzen; aber an allen den Orten ist gerade die Kantische Reinheit nicht gemeint.[378]

Er nennt allerdings den Kant, und hin und wieder verschiedene alte Philosophen; zählt auch Pagina 51, auf einem Blatte, neun neuere Philosophen auf.

Aber, wie das denn so ist, wenn jemand große Männer nennt. Man hört wohl, daß er sie nennt; aber man weiß darum noch nicht, ob er sie auch kennt. Indes darf und muß man nicht impoli sein. Und in solchen Fällen bleibt nichts übrig um zur Gewißheit zu kommen, als daß man dem Zähler und dem Nenner, bei jedwedem Wort das er vorbringt, auf Augen und Mienen Achtung gebe, sein Portamento di voce zu Rate ziehe, und ihm in allen seinen Bewegungen zur Seite bleibe, wie einst Lord Anson dem spanischen Registerschiffe.

Doch der Ungenannte läßt es zu dergleichen feinen und mühsamen Prozeduren nicht kommen. Er weiß dem Leser das Ding leichter zu machen, und ihn kurz und gut und auf einmal au fait und außer allen Zweifel zu setzen.

Der Generalsuperintendent Callisen sagt in seinem Versuch Pagina CCXXII: »Ob wir moralisch frei sind und werden können ist eine schwere Frage, die ich mir nicht beantworten zu können zutraue.«

Und der Ungenannte fügt (p. 8, 9) über diese Äußerung hinzu: »Herr C. setzt sich gegen alle Verantwortung und Vorwürfe auf eine Art in Sicherheit – die, wir hoffen es zur Ehre der Menschheitselbst diejenigen, die sich in Ansehung seiner übrigen Behauptungen mit ihm in Reihe und Glied stellen, nicht öffentlich zu wählen das Herz haben möchten.«


Si tacuisses, philosophus mansisses.

Es ist nämlich bekannt, und jedweder, der sich in der Philosophie nur einigermaßen umgesehen hat, weiß es: daß die Frage: von der moralischen Freiheit des Menschen, solange die Philosophie in der Welt ist, die große Streitfrage gewesen; daß sie schon zwischen den Stoikern und Epikureern sehr lebhaft betrieben worden, und seitdem nie ganz wieder geruhet hat; daß sie zwar um die mittlere Zeit mit der Philosophie ein wenig eingeschlafen, aber auch mit der Philosophie gleich wieder erwacht und unter den Scholastikern schon wieder in volle Bewegung gekommen, und seitdem in voller Bewegung geblieben ist; daß sie sonderlich, seit der letzten Hälfte des vorigen und in unser Jahrhundert hinein, sehr lebendig und interessant geworden, und zwischen und von Männern, wie Spinoza, Leibniz, Collins, Hobbes, Clarke, Bayle, Hume, verhandelt worden, und ferner und fernerhin[379] zwischen und von einer Schar berühmter Leute, die ich nicht alle kennen und nennen kann, Reimarus, Cruse, Daries, Bonnet, Garve, Hommel, Feder, Tetens, Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi; daß Kirche und Schule daran teilgenommen, der griechische und lateinische Stuhl sich darüber gestritten, und Augustinus und Pelagianer, Thomisten und Scotisten, Remonstranten und Kontra-Remonstranten, Luther und Calvinus damit zusammenhangen; daß die moralische Freiheit nicht grade von schwachen und gemeinen Köpfen angefochten und geleugnet worden; daß sie sogar, im ganzen, stattlicher und siegreicher bestritten als verteidigt worden, und nach der Philosophie auch besser und füglicher bestritten als verteidigt werden kann, weil die Verteidiger das Principium rationis sufficientis, gegen sich haben, und sie, wenn sie dies Principium halten wollen, eigentlich nicht anfangen können, und, wenn sie es fallenlassen, gleich am Ende sind; daß Kant einen neuen Weg gegangen ist, die Dornen dieser Alternative zu umgehen; kurz, daß die Frage: von der moralischen Freiheit des Menschen, die große Frage, und der große schwere und schwierige Knoten ist, daran die Vernunft schon mehrere Jahrtausende gekäut, und die größten und scharfsinnigsten Köpfe aller Zeiten und Völker ihre Kräfte, für und wider, versucht haben. – Und der Ungenannte – will sich totlachen, daß ein bescheidener Mann sich nicht zutraut diese Frage beantworten zu können.

So also sieht es mit der theologischen und philosophischen Gelehrsamkeit des Ungenannten aus.

In der Politik ist er etwas besser beschlagen, und was in diesem Fach allgemein gäng und gäbe ist, das scheint er zu wissen, und auch zu halten versteht sich; doch läßt er sich, auch ein paarmal, fast noch etwas billiger aus, als man gewohnt ist. Aber von der politischen so wie von der theologischen und philosophischen Weisheit hernach.

Das wäre denn einstweilen etwas weniges von den Mängeln des Ungenannten; zu sagen, von den Mängeln die ihrem Subjekt inhärent sind.

Was nun die kurrenten Fehler anlangt; da hat der Ungenannte eine gedoppelte Methode. Wenn er seinem Widersacher einen gewissen Fehler vorwirft; so hat er selbst diesen Fehler entweder schon gemacht, oder er macht ihn bald nachher. Bisweilen macht er sie auch vorher und nachher, doch das nur selten.

Von allen Gattungen eine Probe.[380]

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 375-381.
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