Sprüche des Pythagoreers Demophilus

[674] (Aus dem Griechischen)


Hab immer in Gedanken, daß, wo auch dein Körper und deine Seele etwas vorhat und tut, Gott dich sehe und zugegen sei.


Gaben und Opfer ehren Gott nicht, und Tempelschmuck schmückt ihn nicht. Aber eine göttliche Gesinnung vereiniget uns innig mit ihm; denn gleich und gleich gesellet sich gerne.


Der Mensch, der nackt und bloß in diese Welt hergeschickt worden ist, muß den, der ihn hergeschickt hat, nackt und bloß anrufen; denn Gott erhöret den stattlich Bekleideten nicht.


Ein geschwätziger eitler Mensch, der am Altar betet und opfert, entweihet den Altar. Der Weise allein ist ein Priester; der allein ist Gott angenehm, und der allein versteht zu beten und zu opfern.


Weisheit ist das Licht, das die Seele erleuchtet, wenn sie von dem schädlichen Einfluß des Körpers frei geworden ist.


Urteile von einem Menschen lieber nach seinen Handlungen, als nach seinen Worten; denn viele handeln schlecht, und sprechen vortrefflich.


Tue was du für recht hältst, wenn du auch deswegen nicht öffentlich gelobt würdest; denn die Welt ist ein schlechter Richter über gute Taten.


Vor Menschen von verderbten Grundsätzen von Gott reden, ist mißlich; denn du kannst ihnen nicht ohne Gefahr sagen, was die Wahrheit, noch was nicht Wahrheit ist.


Preise nicht leicht einen Menschen glücklich, der sich auf Freunde, Kinder oder überhaupt auf ein Gut stützet, das einstweilen glücklich macht; denn alle diese Dinge sind unsicher[674] und unbeständig. Aber sich auf sich selbst und auf Gott stützen, das ist sicher und beständig.


Der ist ein wahrhaft kluger und bedachtsamer Mensch, der es sich so sauer um seine Seele werden läßt, als andre es sich um ihren Körper werden lassen.


Der Besitz der wahrhaftigen Güter wird ohne Schweiß des Angesichts nicht erworben.


Das halte sonderlich für ein wahres Gut, das, wenn du es andern mitteilest, für dich nicht ab-, sondern zunimmt.


Sei gewiß, daß nichts dein Eigentum sei, was du nicht inwendig in dir hast.


Niemand ist frei, der nicht über sich selbst Herr ist.


Da wir aus Gott entsprungen sind und abstammen, so lasset uns fest an unsre Wurzel kleben und halten; denn des Wassers Bäche und die Gewächse der Erde vertrocknen und verderben, wenn sie von ihrer Wurzel getrennt werden.


Es ist unmöglich, daß einer und derselbe Mensch dieser Welt und zugleich Gott diene.

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 674-675.
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