[Bey dieser Sterbens-Sucht]

[493] Bey dieser Sterbens-Sucht

Giebt alles schier die Flucht,

Wir meinen gar mit Hauffen

Dem Tode zu entlauffen.

Wohin sol ich doch eilen

Für seinen leichten Pfeilen?


Er ist des Höchsten Ruht

Auff unsern Ubermuht,

Die sol uns alle straffen,

Die Hirten mit den Schaffen,

Sie hat uns leicht gedräuet,

Wer hat sich groß gescheuet?


Nun sie mit allem Recht,

Trifft uns, die bösen Knecht,

Ich wolte Knechtisch fliehen,

Mich meiner Straff entziehen?

Es möchten Gottes Plagen

Mich sonst viel härter schlagen.


Ein Kind, das seine Schuld

Läßt straffen mit Gedult

Und kömmt der Ruht entgegen,

Kan Eltern noch bewegen,

Das sich der Zucht entrissen,

Wird doppelt mehr geschmissen.


Und wo verberg ich mich?

Läßt Gottes Eiffer sich

In aller Welt nicht finden?

Er kömmt zuvor den Winden

Und kan viel schneller wancken,

Als Menschen mit Gedancken.


Führ ich gleich Himmel-ein,

Gott wird zugegen seyn,

Könnt ich, mich zu erretten,

Auch in die Hölle betten,

Das letzte Meer erreichen,

Ihm werd ich nicht entweichen.


Ich weiß in dieser Noht

Ein Mittel für den Todt:

Daß wir uns Gott ergeben,

Wir sterben oder leben,

Durch wahre Buß ihn stillen

Und leyden seinen Willen.


Und hieran halt ich mich,

Erbarm, Gott, meiner dich,

Komm meinen Missethaten

Mit deiner Gunst zu statten,

Ich bin nicht werth der Erden

Und dein genennt zu werden.


Mach mein Verbrechen gut

Durch Jesu Christi Blut,

Der unsrer Sünden wegen

Im Grab ist todt gelegen,

Und uns von ihren Banden

Befreyt, da er erstanden.


Und weil ich dieser Zeit

Weiß nirgends Sicherheit,

Wollst du sie mir verstatten,

Herr unter deinem Schatten,

Sey meine Burg und Stärcke,

Wann ich ein Unheil mercke.


Dein Fittich breite sich,

O Vater, über mich,

Laß mich das Gifft der Seuchen

An keinem Ort erschleichen,

Auch wider Todt und Grauen

Gewünschte Hülffe schauen.


Nimmt doch wol in Gefahr

Ein Mensch des andern wahr,

Kan er ohn seinen Schaden

Ihn nur der Noht entladen,

Und dieser, der beschweret,

Guthertzig fein begehret.


Wie soltest du dann nicht,

O meine Zuversicht,

Geneigt seyn mich zu schützen,

Wann mir es nur sol nützen,

Und nicht mein Todt für allen

Mir heilsam möchte fallen.


Diß trau ich, Herr, dir zu,

Drumb sey jetzt meine Ruh,

Laß andrer Leute Schrecken

Nicht Furcht bey mir erwecken,

Dann was hat der zu sorgen,

Den du bey dir verborgen?


Würd ich dann heimgesucht

Mit dieser deiner Zucht,

Gib mitten in den Schmertzen

Gedult und Krafft dem Hertzen,

Wann alles tritt von weiten,

So steh du mir zur Seiten.


Sprich in der letzten Pein

Trost meiner Seelen ein,

Schrey mir ihn in die Ohren,

Wann ich die Sprach verlohren,

Und laß auff Christi Leyden

Mich sanfft von hinnen scheiden.


Wer weiß was harter Stand

Trifft dieses arme Land,

Ob nicht die Krieges-Flammen

Verzehren uns zusammen,

Der Vorbott ist von fernen

Erschienen auß den Sternen.


Wie selig werd ich seyn,

Hült mich das Grab dann ein,

Und ich für allem Jammer

Fein schlaff in meiner Kammer

Und höre kein Getümmel,

Fiel auch gleich ein der Himmel.


Thu, was dein weiser Raht,

O Gott beschlossen hat

Mit mir in meinen Sachen,

Nur laß mich fleißig wachen,

Und allzeit seyn befunden

In einer selign Stunden!

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 4, Halle a.d.S. 1938, S. 493.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon