Dichterfreundschaft

[149] An Heinrich und Julius.


Euch suchte ich. O kindisch weich Bewegen,

o stürmisch Wogen alter Liebeslust!

der schwellende Strom dem rollenden Meer entgegen,

so stürz' ich mich an eure Brust.

Noch Einmal rauschen auf aus ihren Gründen

der ersten Jugendsehnsucht scheue Laute,

zur Brandung schäumend: in die Flut zu münden,

die brausend lockende, die urvertraute ...


O langer Weg! oh, einst! wie jede Welle

nach jedem Wölkchen sah am Himmelsrande,

nach jedem Hälmchen griff am Ufersande,

daß Eines nur mitströmend weiterquelle!

oh keines! fort! nur Bilder, wirr, zerflossen! –


Welch Sausen da auf Einmal! ausgegossen

durch alle Lüfte schien ein Gottessegen,[149]

der Allmacht Schleusen prasselnd aufgeschlossen:

oh Tau der Reinheit – Liebe – Himmelsregen!


Es trank der Strom der Frühlingswolke Thränen,

die tausend Augen, die herniederquollen,

die träufenden Küsse: seine Adern schwollen,

die Pulse barsten, ein unendlich Wähnen

erlösten Dranges bäumte seine Sinne, –

aus seinem Bette brach er, zu umfangen

des Erdballs Wall, des Firmamentes Zinne, – –

zurück, zurück! Ein müdes, sanftes Bangen

umstrickte schmeichelnd seine taumelnden Wogen:

die tausend Küsse, die er aufgesogen,

wie Lenzhauch nun sein lockiges Haupt umflogen,

umschlangen die geballten Fäuste, bogen

sie spielend auf und kos'ten sie und zogen

in seinen Schooß sie wieder, und ein Säumen

versunkner Sehnsucht floß durch seine Seele –

und doch ein Brüten, daß noch Eines fehle;

so rann er matt des Weges, wie in Träumen ...


So fand ich Euch – und lauschte. O Erwachen!

o brüderlich Erkennen, jauchzend Lachen!

o Meeresstimmen, süße Schwesterlaute!

erfüllter Ahnung Klänge, urvertraute! –

Zur tiefen See des vollen Stromes Sehnen

erfaßt mich, in die Arme euch zu fallen,

zu fühlen eurer Herzensfluten Wallen,

an eurer sturmgeworfnen Brust zu lehnen.


In Eure Seele schütten will ich Meine

mit allen Himmelswassern, die sie tränkten,

mit allen Quellenpulsen, die mich drängten

euch zu umhalsen: daß in Eine Eine[150]

glücksingende Woge unser Leben brande,

die glanzumzittert von dem Strahlennetze

der großen Sonne Liebe rings die Lande,

die dürren, für den Neuen Frühling letze.


Schon keimt es sacht; schon hör' ich Osterglocken

vom Strand der Zukunft grüßen übers Meer, – –

dann schläft die Flut – doch horch! ein fern Frohlocken,

der Dank der Menschheit, drüber her ...

Quelle:
Richard Dehmel: Erlösungen, Stuttgart 1891, S. 149-151.
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