Wendekreislauf

[8] Nach einer Abschiedsvisite beim alten Herrn Geheimrath.


Nehmen wir Geschehn für Leben,

haben wir's nicht recht verstanden;

Menschenleben ist das Leben

so nur, wie wir es empfanden –


ja, so schwärmt'ich seelentrunken.

Wie mir alles wohlbehagte,

was ich fühlte, was ich sagte,

in mein Spiegelbild versunken!


Doch jetzt heißt es: mit den Zielen,

mit den Wegen sich beraten.

Zwar den Jüngling ehrt sein Fühlen,

doch dem Manne ziemen Thaten.


Altgeschehnes, Neuerfahrnes,

dunkel drängt es sich zusammen,

und wir wissen nicht zu scheiden

dieses Lodern seltner Flammen;
[9]

denn darunter lebt ein Glühen

seltenster Begebenheiten,

und man fühlt ein still Bemühen,

als ob Zeiten sich bereiten.


Nah schon, will der Sonnenwagen

wieder einen Kreis vollenden.

Wird er durch den Steinbock jagen?

wird er sich zum Krebse wenden?


Schaudernd scheint er still zu stehen

zwischen gleichen Finsternissen,

und nun scheint er sich zu drehen,

aber Du – wirst mitgerissen.

Quelle:
Richard Dehmel: Aber die Liebe. München 1893, S. 8-10.
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