Bastard

[13] Nun weißt du, Herz, was immer so

in deinen Wünschen bangt und glüht,

wie nach dem ersten Sonnenschimmer

die graue Nacht verlangt und glüht,

und was in deinen Lüsten

nach Seele dürstet wie nach Blut,

und was dich jagt von Herz zu Herz

aus dumpfer Sucht zu lichter Glut.


In früher Morgenstunde

hielt heut mein Alb mich schwer umstrickt:

aus meinem Herzen wuchs ein Baum,

o wie er drückt! er schwankt und nickt;

sein seltsam Laubwerk thut sich auf,

und aus den düstern Zweigen rauscht

mit großen heißen Augen

ein junges Vampyrweib – und lauscht.


Da kam genaht und ist schon da

Apoll im Sonnenwagen;

es flammt sein Blick den Baum hinan,

die Vampyrbraut genießt den Bann

mit dürstendem Behagen.

Es sehnt sein Arm sich wild empor,

vier Augen leuchten trunken;

das Nachtweib und der Sonnenfürst,

sie liegen hingesunken.
[14]

Es preßt mein Herz die schwere Last

der üppigen Sekunden,

es stampft auf mir der Rosse Hast –

er hat sich ihr entwunden.

Schon schwillt ihr Bauch von seiner Frucht,

hohl fleht ihr Auge: bleibe!

Er stößt sie sich vom Leibe,

von Ekel zuckt des Fußes Wucht,

hin ras't des Wagens goldne Flucht.


Es windet sich im Krampfe

und stöhnt das graue Mutterweib,

mit ihren Vampyrfingern gräbt

sie sich den Lichtsohn aus dem Leib,

er ächzt – ein Schrei – Erbarmen: ich,

mich hält der dunkle Arm umkrallt,

da bin ich wach ––doch hör'ich,

wie noch ihr Fluch und Segen hallt:


Drum sollst du dulden dies dein Herz,

das so von Wünschen bangt und glüht,

wie nach dem ersten Sonnenschimmer

die graue Nacht verlangt und glüht,

und sollst in deinen Lüsten

nach Seele dürsten wie nach Blut,

und sollst dich mühn von Herz zu Herz

aus dumpfer Sucht zu lichter Glut!

Quelle:
Richard Dehmel: Aber die Liebe. München 1893, S. 13-15.
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Gedichte und Satiren

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»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

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