Aus banger Brust

[26] Die Rosen leuchten immer noch,

die dunkeln Blätter zittern sacht,

ich bin im Grase aufgewacht,

o kämst du doch,

es ist so tiefe Mitternacht.


Den Mond verdeckt das Gartenthor,

sein Licht fließt über in den See,

die Weiden stehn so still empor,

mein Nacken wühlt im feuchten Klee;

so liebt' ich dich noch nie zuvor!


So hab' ich es noch nie gewußt,

so oft ich deinen Hals umschloß

und blind dein Innerstes genoß,[27]

warum du so aus banger Brust

aufstöhntest, wenn ich überfloß.


O jetzt, o hättest du gesehn,

wie dort das Glühwurmpärchen kroch!

Ich will nie wieder von dir gehn!

O kämst du doch!

Die Rosen leuchten immer noch.


Quelle:
Richard Dehmel: Weib und Welt, Berlin 1896, S. 26-28.
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