Nacht

[132] Willst du mich denn nie erhören?

Nennst du dazu mich die Deine,

um mich langsam zu zerstören?

Ich zerfalle fast in Stücke;[132]

wohin führt nun diese Brücke,

die der Mond in Schatten legt?

Immer neue Meilensteine!

ich bin müde! mich bewegt

keine Liebe mehr zum Ruhme,

auch zu keinem Heiligtume,

nimm mir aus dem Haar die Blume –

sieh, mein Einziger, ich weine.


Weine, weine, wein es aus,

o nun darf ich mich dir beugen,

Weib, dort schimmert unser Haus.

Hinter jener hellen Scheibe,

nur noch Seele, nur noch Sinn,

die du bist und der ich bin,

werden wir mit nacktem Leibe

einen neuen Menschen zeugen –

o du Meine, nimm mich hin!


Quelle:
Richard Dehmel: Weib und Welt, Berlin 1896, S. 132-133.
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