32.

[147] Und es tönt aus der Brandung wie Schalmein;

helle Nacht versilbert den fremden Strand.

Langsam wälzen die Wellen den Mondschein ans Land,

in die dunkelroten Kliffe hinein;

da stürzen sie sich die Stirnen ein,

um zurück immer wieder verklärt zu sein –


Es wollt eine Seele sich befrein,

sieh – entfaltet das Weib die Hände –

da ward Tod und Leben ihr zu Schein;

nur der Liebe ist kein Ende.

Ja: so sah es meine Seele im Traum:

es ging Deine Seele wie leuchtender Schaum[148]

aus meinem Körper deinem entgegen.

Ich sah voll Angst, wie ihr doppelt standet:

Ein Haupt hell, Ein Haupt dunkel umströmt von Regen.

Bis ihr, Leib in Geist, ineinander euch fandet

und mich ergriffet. Da sprachst du ein Wort;

wie ein Wirbel klang es. Und über mich fort

stiegen wir, strömten wir lichtflutvermählt

hin in deine, meine, unsre Welt!


Es tönt aus der Brandung wie Geraun –

Horch – raunt der Mann – das Zauberwort:


Ja, es hieß wohl: Wir Welt! Nicht Schein! nicht Traum!

horch, wie's wirbelt: Wrwlt – o Urakkord!

Wrwlt murmeln die Ströme, die großen,

wenn sie zusammenkommen im Meere!

Wrwlt jubeln die Sternenchöre,

Wrwlt die Stürme im Uferlosen!

Wrwlt stammelten die Menschen, als sie noch reine Tiere waren;

stammeln's wieder, alle wieder, die als reine Götter sich paaren

und mit Wellen und Mondlichtschleiern

spielend ihre Freiheit feiern,

die Freiheit, die voll Eintracht spricht:

o gieb uns, Welt, Dein Gleichgewicht!


Es tönt aus der Brandung wie Gesang

um ein Menschenpaar im Überschwang.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 147-149.
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