2.

[163] Durch hohe Pappeln fingert grell der Mond,

legt harte Schatten vor ein kleines Haus;

fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront.

Zwei Menschen sinnen in die Nacht hinaus.

Der Dunst der Felder schleicht, das Mondlicht dämpfend.

Ein Weib sagt zögernd, mit sich kämpfend:


Die Frau, die du bestattet hast,

hat uns befreit von einer Last;

ich weiß ihr Dank! und will ihn offenbaren.

Wo ist ihr Kind? Dein Kind! – gieb mir's bei Zeiten;

noch können wir's zu unserm Glück anleiten.

Was planst du immer wieder Heimlichkeiten![164]

soll's etwa so ein Freund dir aufbewahren?


Der Mann am Fenster blickt ins bleiche Land;

er wirrt in seinen grauen Schläfenhaaren.

Er spricht verhalten, abgewandt:


Vorläufig darfst du dir den Dank ersparen.

Auch wird kein Freund in deinem Glück dich stören;

die Tote wußte nichts von diesen Leuten.

Mein Kind wird meine Mutter mir verwahren;

ich schwieg nur, um dein freies Wort zu hören –

nun laß dir Eins dazu bedeuten:

Mir haben mehr als Eure beiden Seelen

ihr ganzes Glück geoffenbart;

in jeder schien ein Stück zu fehlen,

es lag in mir wie aufgespart.

Wohl band an Jene mich ihr Leidensfrieden,

wohl riß zu Dir mich deine Lebenslust,

doch immer blieb mir frei bewußt:

mir hat die Welt ein reicheres Glück beschieden.

Vielleicht entdeckst auch Du dies Glück bei Zeiten

und lernst mein Kind zu seinem Glück anleiten!


Er kehrt seine Stirn brüsk gegens Licht;

fern hockt der Großstadtdunst, glanzüberthront.

Sie lächelt eigen; er sieht es nicht.

Zwei Menschen blicken einsam in den Mond.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 163-165.
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