33.

[225] Und es sprießen wohl Sterne aus der Erde,

so strahlt der Schnee im Mittagsglanz,

so sind die Berge Ein Silberkranz.

Aber strahlender noch als all der Glanz

wird nun des Mannes Blick und Geberde:


Nun schau und lausche, ganz wie wir sind,

ganz Geist in Leib, nicht trunken blind,

klar aufgetan bis ins Unendliche,

Unüberwindliche, Unabwendliche,

bis wir im Schooß alles Daseins sind:

und du wirst sehn, Herz, daß die Erde

noch immer mitten im Himmel liegt,[226]

und daß Ein Blick von Stern zu Stern genügt,

damit dein Geist zum Weltgeist werde.

Es ist ihm eingefügt jeder Leib,

vom kleinsten Stäubchen bis zum herrlichsten Sterne,

verknüpft noch in verlorenster Ferne,

Weltkörper alle, auch wir, mein Weib!

Und so, schon jetzt durchkreist vom Schwung

der einst im Tod uns ureins wirrenden Triebe,

aus innerster Erinnerung

im Leben eins durch wissende Liebe,

sieh mich nun stehn in ferner Nacht, allein,

vom Anschaun der Gestirne so durchglutet,

wie wenn die Wonnewelle zwischen uns flutet:

in diesem Anschaun bin ich Ewig Dein

und will dir treuer als je mir selber sein!

Ja, neige dich her – o Mein – o wunderbar:

nun schmückt auch Dich ein erstes graues Haar –


Er schlingt es los aus ihrer Lockennacht;

ihm scheint kein Schnee so zart und rein

wie dieses Silberfadens Schein –


Sie nickt und flüstert wie erwacht:

es ist bis in die Seele Gottes Dein.


Und Sterne sprießen, soweit die Sonne scheint.

Zwei Seelen wissen, was sie eint.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 225-227.
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