Der Jugendgefährte

[252] Jüngling! dein Fuß ist erhoben. Dein Aug' ist umnebelt. O laß ihn,

Laß in nicht nieder den Fuß!

Wähnest du Blumen zu treten? O nein! Ein schrecklicher Abgrund

Oeffnet den Rachen vor dir.

Aber du kannst ihn nicht sehen. Dein Aug' ist umnebelt. O Liebling

Meiner Seele die Hand!

Reiche du treuen Gefährten die Hand! – Nun will ich dich halten,

Bis sich der Nebel zertheilt. –

Ach wie brennet die Hand, wie klopfet dein Busen, wie zweifelnd

Blicket dein schüchternes Aug'!

Jüngling! denke den liebenden Vater, die zärtliche Mutter!

Sähen sie deine Gefahr,

Ach sie riefen dir zu mit bebendem Rufen: O laß ihn,

Laß ihn nicht nieder den Fuß![253]

Denke die Reue! So wahr ich dich liebe, so wahr du mich liebest,

Zückt sie schon jetzo den Dolch,

Stößt ihn, so bald du den Abgrund erreichest, dir tief in den Busen,

O dann erwachet ein Weh,

Lang, wie der Schlummer im Hause des Todes, nach flüchtigen Träumen,

Wilder, entehrender Lust.

Und ich sähe dich leiden? O schone des treuen Gefährten,

Dessen Seele dich liebt!

Halte dich fest am stärkenden Arme des Barden, und laß ihn,

Laß ihn nicht nieder den Fuß!

Bald wird der Nebel verduften, dein Aug' den schrecklichen Abgrund

Schwindelnd erblicken und fliehn,

Du den treuen Gefährten umarmen, von reinerer Wollust

Freudegefühlen erglüh'n.

Aber, wann jetzo die Zahl von deinen Wintern heranwächst,

Jetzo dein blumiges Kinn[254]

Mannheit beschattet, mit dir die Bürden und Wonnen des Lebens

Theilet ein keusches Gemal,

Und dein ruhiges Aug' auf deiner geretteten Jugend

Heitere Tage nun blickt,

O dann rufst du: Wo ist er, mein Retter, mein treuer Gefährte,

Der mich liebte, mein Freund?

Nun erst kenn' ich ihn ganz den Werth von seinem Geleite,

Ganz sein zärtliches Herz! –

Jüngling! Sined ist todt. Von seiner verlassenen Halle

Tönet kein freundlicher Laut,

Leitet kein Fußtritt in Schatten. Ihm haben die Söhne der Lieder

Traurig sein Grabmal erhöht,

Haben ihm Namen gegeben; doch war ihm der liebste, dein Retter,

Jüngling! gewesen zu seyn.

Quelle:
Michael Denis: Auserlesene Gedichte, Passau 1824, S. 252-255.
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