Auf Gleim

[264] Als Cythere noch für Mavors

Keine Seitentriebe fühlte,

Als noch Mavors auf Cytheren

Keinen Augenausfall wagte,

Hatte Venus ihren Dichter,

Hatte seinen Dichter Mavors;

Sie den muntern Tejergreisen,1

Er den Mutherwecker Spartens;2

Aber als der lahme Gatte

Seine Netze fein zu ketten,

Und die schlüpfrige Cythere

Mit dem schlüpfrigen Gradivus

Gleich den Aalen zu berücken

Sich des Argus Augen wünschte,

Damal in der schönsten Stunde

Sprachen Mavors und Cythere:[265]

»Einen Wunsch und Ein Vergnügen

Haben wir, Ein Herz und Lager,

Sollten wir nicht alle Beyde

Auch nur Einen Dichter haben?«

Und die losen Amoretten,

Die der Venus Wangen kühlten,

Die mit Mavors Waffen spielten,

Schlugen ihre Seidenflügel,

Wiederholten: »Einen Dichter!

Einer flog, und holte Rosen

Von dem besten Grunde Paphos,

Diesen Dichter zu bekränzen.

Einer flog auf Pindus Höhen,

Von Kalliopen die Tuba

Diesem Dichter zu erbitten.

Und ich horchte still, und wollte

Dieses Dichters der Cythere,

Dieses Dichters des Gradivus

Ehrenvollen Namen hören.

Und das Chor der Amoretten,

Die der Venus Wangen kühlten,

Die mit Mavors Waffen spielten,

Schlugen ihre Seidenflügel,[266]

Klatschten mit der Hand, und riefen:

Singe von Cytherens Siegen,

Singe von Gradivus Siegen,

Gleim – Anakreon – Tyrtäus!«

Fußnoten

1 Anakreon.


2 Tyrtus.


Quelle:
Michael Denis: Auserlesene Gedichte, Passau 1824, S. 264-267.
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