Fünfter Auftritt.

[198] Landrath. Gleich darauf Elise.


LANDRATH. Wie schnell fertig mit allen Dingen und wie stets zufrieden mit sich selbst. Was hilft mir's wieder, daß ich die Scheibe sicherer treffe, er schießt doch im Leben überall den Vogel ab. Wahrhaftig, ich gerathe in Versuchung, ihn zu beneiden. – Ah Elise!

ELISE rechts auftretend. Sieh da, lieber Vetter, schon[198] zurück? – Haben Sie auch wohl gethan zu reiten, so bald nach Ihrem Falle?

LANDRATH. O den habe ich längst vergessen.

ELISE. Sie sagen das so bezüglich. Sollte ich ihn auch so schnell vergessen, da doch Ihre Aufmerksamkeit für mich ihn veranlaßt?

LANDRATH. Sie meinen das Ueberbringen des Blumenstraußes? – Für sich erfreut. Wahrhaftig, sie trägt ihn an der Brust!

ELISE. Es war sehr freundlich von Ihnen.

LANDRATH. Es ist – viel freundlicher von Ihnen, daß Sie ihn so hoch ehren.

ELISE. Wie sollte ich nicht? Die allerliebsten Blümchen, und wie würzig sie noch immer duften! Sie hat den Strauß von der Brust genommen und athmet den Duft.

LANDRATH für sich. O wenn sie wüßte, wie mein ganzes Herz jetzt ringt, sich ihr zu öffnen!

ELISE. Hier ist es doch recht erfrischend kühl. Sie setzt sich auf einen Gartenstuhl am Hause. Ich soll Ernestine hier erwarten, wir haben einige häusliche Anordnungen zu treffen. Aber ich störe Sie wohl? Sie wollen lesen.

LANDRATH. O nicht doch, ich – erwarte Herrn von Kiel, wir wollen wieder nach der Scheibe schießen.

ELISE. Doch nicht hier? Dann lauf ich davon!

LANDRATH. Nein, nein, Herr von Kiel läßt schon die Scheibe hinten im Park aufstellen.[199]

ELISE. Ah das ist sehr aufmerksam von ihm. Er schießt wohl gut?

LANDRATH. Nun – o ja – mitunter.

ELISE. Ueberhaupt kommen nach und nach bei ihm Talente zum Vorschein, die ich ihm nie zugetraut hätte. Denken Sie nur, er dichtet auch.

LANDRATH. Herr von Kiel?

ELISE. Ja. Hier habe ich ein Gedicht von ihm, das mir außerordentlich gefällt. Sie sind ein Kenner, ich möchte wohl wissen, wie es Ihnen zusagt. Sie zieht es hervor.

LANDRATH. Ich bin begierig.

ELISE liest.

»In Wonnethau gebadet lauscht im Thale

Die Blume still dem ersten Sonnenstrahle,

Der Lust verheißend auf in Osten glüht.

So bebt das Herz in freudevollen Schlägen,

So jauchzt es hoffnungsvoll dem Glück entgegen,

Das ihm am fernen Horizont erblüht.«

LANDRATH wie verblüfft. Und dies Gedicht ist von Herrn von Kiel?

ELISE. Ja freilich, ist's nicht hübsch?

LANDRATH. Er hat es Ihnen selbst als seine Arbeit gegeben?

ELISE. Diesen Morgen. – Hören Sie nur weiter.

»Doch wenn die Sonnenrosse höher steigen,

Dann muß das Blumenauge still sich neigen,[200]

Und welken vor des Mittags glühn'dem Stern.

Und naht sich uns, wonach wir heiß verlangen,

Dann bebt das Herz, geblendet und voll Bangen,

So nah' dem Ziel, sind wir ihm doppelt fern.«

LANDRATH für sich. Nein, diese Frechheit geht doch zu weit!

ELISE. Nun was sagen Sie dazu?

LANDRATH. Es ist unglaublich!

ELISE. Nicht wahr? – Ich hätte ihm das nimmermehr zugetraut.

LANDRATH. Ich wahrlich auch nicht, das nicht!

ELISE. Nun so sagen Sie doch wie Ihnen das Gedicht gefällt?

LANDRATH. Mir? – Das Gedicht an sich?

ELISE. Nun freilich, ist es nicht allerliebst?

LANDRATH. Je nun, es ist die Arbeit eines Dilettanten.

ELISE. Allerdings, es wird auch für nichts andres ausgegeben. Aber ich finde die Empfindung darin so zart, so warm und innig –

LANDRATH freudig. Wahrhaftig, Elise, finden Sie das?

ELISE. Sie nicht?

LANDRATH. Nun ja – es ist gewiß, einem übervollen Herzen sind diese Verse entströmt, wenn sie auch in der Fassung ungeschickt – –[201]

ELISE. Was kümmert mich das? Die innere Wärme läßt mich leicht das äußere Ungeschick vergessen.

LANDRATH entzückt. Wirklich, Elise, ist das so?

ELISE. Wie können Sie zweifeln? Darum freut es mich recht, bei Hrn. v. Kiel diese Zartheit und Innigkeit zu entdecken.

LANDRATH verletzt. Bei Herrn von Kiel, ja so, weil Sie bei Herrn von Kiel sie entdecken, darum freut es Sie?

ELISE. Und um so mehr, da ich ihm in dieser Beziehung mißtraue. Gestehen Sie auch nur zu, Vetter, daß die Verse nicht so ganz schlecht sind.

LANDRATH. So ganz schlecht vielleicht nicht.

ELISE. Nein, sogar gut, sehr gut, ganz vorzüglich.

LANDRATH. Das ist gewiß viel zu viel gesagt.

ELISE. O gehn Sie, Vetter, Sie sind neidisch.

LANDRATH. Neidisch? das könnte seyn, aber wenn Sie wüßten, was mich abhalten muß, die Verse gut zu finden –

ELISE eifrig. Ich weiß es nur zu gut, Sie sind im Herzen Hrn. v. Kiel feind, und darum wollen Sie ihm gar keine Geschicklichkeit, keine einzige gute Eigenschaft zugestehn.

LANDRATH bitter. Sie haben den Grund ausnehmend scharfsinnig aufgefunden.


Quelle:
Eduard Devrient: Dramatische und dramaturgische Schriften, Leipzig 1846, S. 198-202.
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