2.

[86] Nun ist auch erloschen der letzte Schein

Im Kämmerlein des Poeten,

Und lockerer Vögel Nachtverein

Kommt stolpernd heimgetreten.


Es träufelt leiser Schnee vom Dach,

Die Fahne kreischt am Turme,

Die Laternen schwanken und glimmen schwach

Und schaukeln sich lustig im Sturme.


Die Häuser stehen schwarz und still,

Die Kirchen leer und die Schenken,

Nun mag eine Seele wie sie will

Gehen und träumen und denken.


Es blinzt kein Auge scheel und schief,

Kein Lästermaul reißt sich offen,

Nun mag ein Herz, das am Tage schlief,

Lieben und bangen und hoffen.


Du traute Nacht, der Bösen Feind

Und aller Guten Segen,

Sie sagen, Du seist keines Menschen Freund, –

Wie lieb' ich dich, Nacht, deswegen!

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 86-87.
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Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters (Deutsche Texte)