3.

[92] Thränen, die um mich geweint,

Abschiedsschwüre lieber Kinder,

Seid ihr auch nicht ernst gemeint,

Ihr erschüttert mich nicht minder;

Denn für das, was ich vergangen,

Rächt sich meine Phantasie,

Und ein Glück, das ich empfangen,

Das vergess' ich nie.
[92]

Keuscher Lippen zarter Kuß,

Kleiner Hände freundlich Drücken,

An den schüchternsten Genuß

Denk' ich heute mit Entzücken.

Zauber einst geliebter Züge,

Einsam, ratlos wie ich bin,

Ach, für eine neue Lüge

Gäb' ich alles hin!


Wenn der Wind die Segel bläht,

Hoff' ich wieder zu erfassen,

Was ich deshalb nur verschmäht

Und verleugnet und verlassen,

Eitle Sehnsucht zu vermehren,

Und allein, in düstrer Nacht,

Mich in Trauer zu verzehren,

Die ich selbst erdacht.

Quelle:
Ludwig Ferdinand Schmid: Dranmor’s Gesammelte Dichtungen, Frauenfeld 41900, S. 92-93.
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