16. Waldleben

[98] Spätherbst. – Wir schritten langsam durch den Wald

Zur Dämmrungszeit, ermüdet und verdrossen,

Da sprach ich zu dem wackern Jagdgenossen:

»Freund, laß uns hier ein Weilchen ruhn!« – Und bald

Erstarben uns die Worte auf den Lippen.

Im Busche hörten wir den Nachtwind säuseln,

Das tote Laub zu unsern Füßen kräuseln,

Und alte Birken sahn wir, gleich Gerippen,

Im schwarzen Moorgrund; Schatten, riesenhaft,

Umflogen uns und huschten rasch vorüber;

Des Tages Nachglanz wurde bleicher, trüber.

Unheimlich war es in der Nachbarschaft;

Ein sonderbares Regen in den Zweigen,

Sonst alles tiefes Schweigen. –

Ich schlief nicht, träumte nicht; ein Schleier lag

Auf mir, doch blieb ich meiner Sinne mächtig –

Und da, in meiner Nähe, übernächtig,

Erschien mir plötzlich, blendend wie der Tag,

Ein Bild, das schmerzliche Erinnrung weckte.

Du warst es, stolze Lady Margaret,

Du, deren Liebe ich umsonst erfleht,

Du, deren Sarg mit Kränzen ich bedeckte –[99]

O langbeweinte, herrliche Gestalt!

Du saßest wieder auf dem weißen Pferde

Wie einstmals. – Ließ der Liebe Allgewalt

Dir keine Rast in halberstarrter Erde?

Ich sah dich auf den Hals des Zelters klopfen;

Aus deinen Augen fielen schwere Tropfen

Auf deine holde, oft geküßte Hand.

Vorbei, vorbei! – Ein Winken mit dem Tuche,

O teures Antlitz, das ich ewig suche,

Ein letzter Blick – und die Erscheinung schwand.

Und sprachlos starrend in des Waldes Düster

Vernahm ich jetzt ein Rauschen, ein Geflüster –

Mir drang es in die Brust wie Grabeshauch.

Lebendig aber wurden Baum und Strauch

Und warfen mir, der Geisterwelt Erwachen

Begrüßend, leise diese Worte zu:

»Gestorben, ja gestorben bist auch du – –«

Und in der Ferne dann ein hohles Lachen.

War's eitel Täuschung? Fragt den Dichter nicht!

An meiner Seite fand ich den Gefährten,

Den treuen Freund, den starken, vielbewährten;

Ein blasser Mondstrahl fiel auf sein Gesicht.

Erschüttert, wie ich nimmer ihn gesehn,

Doch die gespannte Flinte unterm Arme,

Ergriff er meine Hand, die fieberwarme,

Und sagte: »Freund, wir müssen wieder gehn.«

Quelle:
Ludwig Ferdinand Schmid: Dranmor’s Gesammelte Dichtungen, Frauenfeld 41900, S. 98-100.
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