Siebente Szene

[538] Die Vorigen. Frau von Austen sie ist sehr klein und dürr, gebückt vor Altersschwäche, aber lebendig in ihren Bewegungen.


FRAU VON AUSTEN tritt herein, sieht neugierig umher, nimmt ihren Hut ab, unter dem ein Häubchen mit Rosaband zum Vorschein kommt, zieht die Handschuh' ab und schwankt dann an das Büchergestelle, vor dem Claudine steht, wo sie Hut, Handschuh' und einen schweren Strickbeutel in ein halbleeres Fach schiebt; Claudinen bemerkend. Ah, sieh da, meine liebe Briesen!

CLAUDINE wendet sich um. Guten Tag, meine gute Frau von Austen, wie geht's? Was haben Sie gemacht seit dem letzten Donnerstag?

FRAU VON AUSTEN. Nicht wahr? das war ein himmlischer Abend! Unser Kränzchen war so recht en verve.

CLAUDINE. Freilich, und weshalb eigentlich wohl? Es war doch im Grunde ein miserabler Tag, ein Wetter zum Verzweifeln, aber mir war grade, als wenn ich eine halbe Flasche Champagner getrunken hätte.

FRAU VON AUSTEN lachend. Vouz avez toujours le bon mot pour rire! Aber wirklich, ich habe mich an keinem Abende so weh getrennt. Die Luft zitterte ordentlich von Geistund Witzfunken.

CLAUDINE lachend. Aber ohne Frage!

FRAU VON AUSTEN. Wir hatten alle unsern geistigen beau[538] jour, sogar der Leiser, mit vorgehaltener Hand. langweilige Lauter. Werning –

CLAUDINE. Gewiß; der Mensch war geradezu poetisch ein paar Stunden lang, der mußte ein vierblättriges Kleeblatt gefunden haben.


Frau von Austen lacht und droht ihr mit dem Fächer.


CLAUDINE. Aber nun sagen Sie mir, warum sind wir nicht immer so? Warum können wir zuweilen so unausstehlich ledern sein? Z.B. am Sonntage – es war doch zum Übelwerden! Hätte man nicht denken sollen, wir wären im Grunde alle die langweiligsten Personnagen von der Welt?

FRAU VON AUSTEN. Ja, ist der Mensch nicht Stimmungen unterworfen? Die Psyche schlummert zuweilen, besonders Schalkhaft leise. wenn Amor sie nicht mehr weckt.

CLAUDINE pikiert. O, meine liebe Frau von Austen, es ist nicht nötig, daß man immer einen Liebhaber auf der Ferse hat, um erträglich zu sein.

FRAU VON AUSTEN. Gott bewahre! dann wäre ich seit lange eine unerträgliche Person; denn was habe ich andres als Erinnerungen! Sie seufzt und wirft einen Blick auf ihre Ringe.

CLAUDINE mit leichter Bosheit. Da haben Sie das Beste; die pflegen gewöhnlich viel schöner und idealer zu sein, als die Gegenwart gewesen ist.

FRAU VON AUSTEN. Ja wohl, das Grab hat eine läuternde Kraft; obwohl – es ist doch furchtbar, furchtbar! Sie schüttelt sich.

»Das Grab ist tief und stille

Und schauderhaft sein Rand.«


Sie sieht suchend umher.


CLAUDINE. Sie suchen einen Stuhl; ich habe selbst keinen, sonst würde ich mir ein Vergnügen daraus machen, ihn Ihnen anzubieten. Sie wirft einen strafenden Blick auf Ida, die erschrocken auffährt.

FRAU VON AUSTEN sieht ängstlich umher. Es ist hier alles so zugepackt; sonst – dort sitzt ein Herr, so breit wie ein[539] chinesischer Mandarin. Da sie bemerkt, daß Ida ihren Stuhl aufhebt. Nein, lassen Sie, lassen Sie, Kind! aber wenn Sie Ihr Plätzchen am Fenster einer alten Frau abtreten wollen, das wäre allerdings sehr lobenswert – sehr außer der jetzigen Mode. Sie rutscht zu Idas Stuhle. Ich sitze gern am Fenster; man kann da so allerlei Beobachtungen machen à la Scarron. Sie setzt sich, Ida schlägt die Vorhänge mehr zurück, doch so, daß für die dahinter Sitzende noch immer ein Ansehn von halbem Lauschen bleibt, und stellt sich stickend an die gegenüberstehende Wand der Fensternische. Claudine ist indessen zu Willibald an den Tisch getreten, hat ein Manuskript aus ihrem Strickbeutel gezogen, es Willibald überreicht, und redet nun, während er es durchsieht, leise und angelegentlich zu ihm.

FRAU VON AUSTEN. Welch eine herrliche Aussicht! Der alte Vater Rhein mit seinen blauen Wogen und grünen Berghäuptern! Und sechs – sieben – acht Schiffe, ich verstehe mich nur nicht auf die Flaggen. Sie sieht neugierig heraus, dann Idas Hand fassend. Ja, warum ich eigentlich gekommen bin; wissen Sie nicht, liebes Kind, ob der Papa gute vollständige Ausgaben von den Dichtern hat, die man jetzt leider nirgends mehr antrifft? Ich meine von den guten ältern Dichtern, Opitz, König, Gellert, Lessing. –

IDA. Lessing habe ich doch schon nennen gehört, aber –

FRAU VON AUSTEN. Die anderen nicht; nun dann werde ich sie auch wohl hier vergeblich suchen, wie überall. Ich dachte, in einem so vollständigen Laden – indessen die Zeiten haben sich geändert.

IDA. Ich will nachsehn, vielleicht doch. Sie steigt auf die Bücherleiter.


Frau von Austen sieht indessen neugierig nach Claudinen und Willibald hinüber.


CLAUDINE halblaut.

»Es flogen die Wolken, es wälzte der Nord

Durch der Burg hochwölbende Hallen sich fort –«


Ist das matt? Ist das Haut und Knochen?[540]

WILLIBALD ebenso. Gewiß nicht! obgleich – »hochwölbende ... –«

CLAUDINE rasch. Nein? Ist das nicht gut? Ist das nicht ein edles Bild?

WILLIBALD. Ich habe nichts dagegen, aber die Halle wird gewölbt, sie wölbt nicht.

CLAUDINE. Ei, freilich! der Himmel wölbt sich, die Grotte wölbt sich, – das liest man ja hundertmal.

WILLIBALD. »Sich wölbende«, das ging an, aber »hochwölbende« –!

CLAUDINE ungeduldig. O, man muß auch etwas wagen. Jedermann versteht es und –

WILLIBALD fällt ein. Zu kühn!

CLAUDINE. Ich will aber kühn sein.


Willibald zuckt die Achseln.


FRAU VON AUSTEN. Kommen Sie, Kind, kommen Sie her! Sie finden es doch nicht.

IDA steigt von der Leiter. Es muß drüben in dem großen Laden sein.

FRAU VON AUSTEN kopfschüttelnd. Nein, es ist gar nicht da, ich wette. Ida stellt sich wieder zu ihr. Aber den Klopstock haben Sie doch? das ist doch noch einer von den Neueren.

IDA. O ja, den Klopstock haben wir. Indessen – ich will versuchen, ob ich ihn finden kann; er wird so selten verlangt.

FRAU VON AUSTEN hält sie an der Hand. Nein, bleiben Sie, bleiben Sie! Schwätzen Sie lieber ein wenig mit mir; alte Leute sprechen gern. Ida lehnt sich wieder an die Mauer. Daß ich so lange habe leben müssen, um das Schöne untergehn zu sehn! die himmlischen Gesänge an Cidli! und Selmar! »Den Schmerz soll Selmar nicht fühlen, daß er sterbend mich sieht, Selmar, wie liebe ich dich!« Sie sind doch jung, mein Kind; macht das gar keinen Eindruck auf Sie? Ida flüstert verlegen etwas. O, Sie brauchen nicht rot zu werden; wenn Sie den Goethe lesen oder den Gutzkow, den Ihnen der Papa aber hoffentlich nicht in die Hände geben wird, dann mögen Sie rot werden.[541]

IDA neugierig. Gutzkow?

FRAU VON AUSTEN. Aber so reine Gefühle veredeln die Seele.

WILLIBALD. Wie ist's, Fräulein? Soll ich es streichen?

CLAUDINE. Nein, das müssen wir noch besser über legen.

WILLIBALD. Nein, es ist ausgemacht; soll ich es streichen?

CLAUDINE mürrisch. Meinetwegen, aber dieses eine Mal und nie wieder.

WILLIBALD. Gut! Er tunkt die Feder ein und streicht.

FRAU VON AUSTEN. Wer ist der Herr, der mit Fräulein Briesen so bekannt scheint?

IDA. Der Dichter Willibald.

FRAU VON AUSTEN fixiert ihn. Ein hübscher Mann! wohl eine alte Freundschaft?

IDA. Nein, sie haben sich vor einer halben Stunde hier zum ersten Male getroffen.

FRAU VON AUSTEN. Das sollte man nicht meinen.

IDA. Fräulein Briesen ist sehr lebhaft.

FRAU VON AUSTEN gibt ihr einen Schlag mit dem Fächer. Spitzbube! Sie spricht leiser mit Ida und sieht dabei immer nach den beiden andern hinüber.

CLAUDINE zu Willibald, der fortwährend streicht. Halt! halt! holla! Sie lassen ja nichts stehn.

WILLIBALD. Ich merke mir nur einiges an, um mit Ihnen darüber zu reden. Er streicht immerfort.

CLAUDINE lebhaft. Aber nun auch eine ordentliche Rezension, sage ich Ihnen, eine Rezension aus dem Salz und Pfeffer!

WILLIBALD. Glauben Sie mir, ich bin selbst sehr geneigt, mein Bestes zu tun an dem – Schlingel.

CLAUDINE. Aber eine Rezension auf meine Gedichte!

WILLIBALD. Vorerst eine auf die seinigen, das andre findet sich.

CLAUDINE. Aber Sie sollen ihn nicht herunterreißen und mich dann neben ihm im Kote liegen lassen; das stände mir schlecht an.

WILLIBALD sieht auf. Hören Sie, Fräulein, ich darf das nicht so unmittelbar nebeneinander stellen; sehen Sie nicht,[542] daß ich dann mein Ansehn von Unparteilichkeit verlieren würde?

CLAUDINE sehr schnell. Das haben Sie doch nicht; er hat Sie ja miserabel mitgenommen.

WILLIBALD räuspert. Ja – nun – so arg nicht.

CLAUDINE. Ungefähr wie mich, wir können uns die Hände reichen.

WILLIBALD räuspert. Jedenfalls ist es besser, wenn ich anonym schreibe, schon seiner Schwester wegen, die meinen Vetter geheiratet hat.

CLAUDINE. Richtig! so reißen Sie ihn anonym herunter und mich rezensieren Sie dann mit Ihres Namens Unterschrift.

WILLIBALD räuspert. Das pflege ich sonst nicht zu tun; mich dünkt, ein W. sei genug, da weiß es doch ein jeder.

CLAUDINE heftig. Weiß es ein jeder? Weiß es keine Katze! Herr Jesus, das ist ja die Chiffre des langweiligen Werning! Da will ich doch lieber –

WILLIBALD ihre beiden Hände fassend. Hören Sie! Hören Sie! Er spricht leise zu ihr.

FRAU VON AUSTEN zu Ida. Nicht wahr, Sie machen auch Ihre Bemerkungen?

IDA verstimmt. Ja, aber sie ennuyieren mich.

STIMME draußen. Hier? links? gut. Es wird angeklopft und dann rasch die Tür geöffnet.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 538-543.
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