Achte Szene

[543] Die Vorigen. Sonderrath tritt herein, den Hut in der Hand; er streicht sich ungestüm durchs Haar, sieht umher und nähert sich dann dem Tische.


SONDERRATH zu Willibald. Habe ich die Ehre, Herrn Speth zu sehn?

WILLIBALD trocken. Verzeihn Sie.[543]

SONDERRATH. Oder einen seiner Kommis?

WILLIBALD. Auch nicht. Er steht auf, nimmt die Abendblätter und ordnet sie mit Hilfe der Bücherleiter in das gehörige Fach; Claudine reicht sie ihm und redet leise dazwischen.

IDA sich nähernd. Wollen Sie gefälligst einen Augenblick verzeihen? Mein Vater wird hoffentlich sogleich kommen.

SONDERRATH. Wie bald? wann meinen Sie wohl?

IDA zuckt die Achseln. Mich wundert, daß er nicht hier ist; er pflegt sonst um diese Zeit nicht auszugehn.


Sonderrath zupft an seinem Schnurrbarte, fährt sich durchs Haar, sieht umher und gibt alle Zeichen der höchsten Ungeduld. Ida zieht sich etwas pikiert zurück; die Austen betrachtet den neuen Ankömmling neugierig.


CLAUDINE zu Willibald, halblaut. Aber wann dann?

WILLIBALD. Bald, nur nicht so unmittelbar.

CLAUDINE. Ich sehe schon, worauf das hinaus soll; aber ich will mein Recht, nichts mehr als mein Recht.

SONDERRATH zu Ida gewendet. Wissen Sie nicht, wohin Herr Speth gegangen ist?

IDA. Ich weiß es nicht, aber um zwei kommt er jedenfalls zu Hause.

SONDERRATH zieht seine Uhr. Erst halb – erlauben Sie! Er legt seinen Hut auf einen Bücherballen, rückt den Stuhl vom Tische zur Seite, setzt sich darauf, nimmt ein Lineal vom Tische und balanciert es auf der Hand.

WILLIBALD hat die Blätter geordnet. Da liege, du Lork! und steh nicht wieder auf! Ich hoffe, das Paket soll nicht um vieles dicker werden, wenn es nach meinem Sinne geht.

SONDERRATH läßt das Lineal fallen. Plautsch, da liegen wir. Er hebt es auf, etwas kleinlaut. Es ist nicht zersprungen.

IDA. O, das wäre auch kein großer Schaden.

CLAUDINE halblaut zu Willibald. Gehn Sie! Sie können gut reden, ich kann nicht dagegen aufkommen, und es steckt doch Falschheit drunter.[544]

WILLIBALD. Fräulein, Sie sind die argwöhnischste Person von der Welt.

FRAU VON AUSTEN zu Ida. Was ist das?

IDA. Man sollte denken, eine Liebeserklärung, aber es wird wohl ihre Schreibereien angehn.


Sonderrath springt auf und zieht eine Klingel.


IDA zu Frau von Austen. Schauen Sie mal an! der meint, er sei in seinem Schlafzimmer. Ein Diener kommt.

SONDERRATH. Wo ist denn eigentlich Herr Speth?

DIENER. Ich will nachsehn, –

SONDERRATH. Ist er denn zu Hause oder nicht?

DIENER. Ich will –

SONDERRATH. Aber wissen Sie es denn nicht?

DIENER verblüfft. Vor einem Weilchen war er in seinem Kabinette.

SONDERRATH verwundert. So! also zu Hause! ja dann gehn Sie schnell zu ihm, ich sei hier, und zwar sehr eilig, er möge gefälligst sogleich kommen.

DIENER. Darf ich um Ihren wertesten Namen –

SONDERRATH. Ich, – ich – Ach, wie heiße ich denn? Sonderrath, und ich sei sehr eilig, vergessen Sie das nicht. Diener geht; Willibald und Claudine wenden sich verwundert um; Frau von Austen fängt an, auf ihrem Stuhle hin und her zu rutschen. Sonderrath steht auf und geht einmal die Bühne auf und nieder; als er an Willibald kommt, tritt dieser vor.

WILLIBALD. Herr Sonderrath, verzeihen Sie einem Bruder in Apoll und den Musen – Sonderrath bleibt stehn. daß er, in Ermanglung eines Wortführers, es wagt, sich selbst vorzustellen; ich bin der Theofried Willibald.

SONDERRATH macht eine flüchtige Verbeugung. Ah!

WILLIBALD. Es ist eben niemand hier, der mir diese Gunst erweisen kann; so muß ich es machen wie der Kuckuck und rufen meinen eignen Namen.

SONDERRATH zerstreut. Sie wohnen hier in der Stadt? Das habe ich nicht gewußt.

WILLIBALD. Allerdings; meine Werke erscheinen hier beim[545] Herrn Speth; Selbstgefällig umherschauend. ja, diese sind die vier Wände, wo sie zuerst das Licht der Welt anschreien. Da Sonderrath nicht antwortet. Notabene, wo speisen Sie?

SONDERRATH. Ich weiß noch nicht; notabene, gibt es hier denn überall himmelblaue Schokolade?

WILLIBALD lachend. Wer hat Ihnen die vorgesetzt? Das ist ja eine Schande für unsere Stadt.

SONDERRATH. Der Mann im Monde.

WILLIBALD. Ach, der Mondwirt! das ist ja aber auch eine Kneipe; wie sind Sie denn dahin geraten?

SONDERRATH. Mit Gott und meinem Schürgen, der immer vor mir hergerollt ist, wie eine Billardkugel.

WILLIBALD. Das sind Schelme, die – Sonderrath wendet rasch den Kopf. Wünschen Sie etwas?

SONDERRATH. Mich dünkt, es ging jemand über den Flur.

WILLIBALD. Hier rennt's den ganzen Tag wie in Lloyds Kaffeehause; Herr Speth hat ein enormes Geschäft.

SONDERRATH. Wenigstens ein sehr solides.

WILLIBALD. Nun, solide muß ein Haus wohl sein, das sich durchaus nur mit dem Ausgezeichnetesten befaßt.

SONDERRATH. Mich dünkt – Zu dem eintretenden Diener. wie ist's? kommt er?

DIENER. Herr Speth sind in der Tat ausgegangen.

SONDERRATH heftig. Nun, dann werde ich aber auch ausgehn, und vielleicht nicht wiederkommen. Er ergreift seinen Hut. Empfehlen Sie mich Herrn Speth, und – ich sei hier gewesen.

IDA sich nähernd. Herr Sonderrath, ich weiß, daß mein Vater Sie dringend zu sprechen wünscht; dürfte ich Sie nicht bitten, sich noch ein geringes zu gedulden? Es kann nicht weit mehr von zwei sein, dann kommt er unfehlbar zu Hause.

SONDERRATH. Fräulein – ich muß – ich fürchte das Dampfboot zu versäumen.

IDA. Stromauf?

SONDERRATH. Nein, stromab, nach Köln.[546]

IDA. Das geht erst um sechs. Ich bitte, machen Sie mir nicht den Kummer, meinem Vater sagen zu müssen, daß er Sie verfehlt hat. Wahrscheinlich ist er eben jetzt Ihretwegen an die Schiffbrücke gegangen, da er Sie seit vier Wochen täglich erwartet.

SONDERRATH. Wirklich? Oh, das ist mir leid; der gute Herr Speth! Freilich, ich habe mal etwas dergleichen geschrieben, aber – aufrichtig gesagt, Fräulein – ich bin zuweilen ein wenig konfus in meinen Plänen. Nun, ich will warten.


Er legt den Hut wieder auf den Ballen; Frau von Austen hat sich indessen Claudinen genähert, diese dem Willibald gewinkt, der nun mit beiden Damen zu Sonderrath tritt.


WILLIBALD halb ironisch. Herr Sonderrath, es ist heute ein Tag der Überraschung für Sie, ein Tag albo notanda lapide; sehn Sie keine Lorbeeren an diesen beiden Stirnen?

SONDERRATH zerstreut lächelnd. Lorbeern?

WILLIBALD vorstellend. Frau Johanna von Austen, – Fräulein Claudine Briesen.

SONDERRATH verbeugt sich. Ah!

WILLIBALD. Oder um die Mauer der Anonymität zu brechen, Auf Frau von Austen deutend. Verfasserin vieler geschätzten Poesien, unter dem schlichten Namen »Johanna«, und Auf Claudinen deutend. »Des Echos im Felstale«.

SONDERRATH verblüfft. Ah, das »Echo im Felstale«!

CLAUDINE. Nicht wahr? Ein glücklich erfundener Titel – so etwas Träumerisches, Verhauchendes – ich möchte wünschen, daß die Gedichte ihm entsprächen.

SONDERRATH zerstreut. Zweifeln Sie daran?

CLAUDINE lebhaft. So haben sie Ihren Beifall? O, wie freut mich das! Kindlich in die Hände klatschend. O, nun bin ich geborgen, nun habe ich eine gute Stütze. Mit dem Finger drohend. Warten Sie, auf Sie werde ich mich noch manches Mal berufen! Sehr schnell. Aber welches – das ist doch eine unbescheidene Frage; sagen Sie uns lieber, wie lange bleiben Sie?[547]

SONDERRATH. Hier? Ich warte auf Herrn Speth.

CLAUDINE. Tun Sie nicht so borniert! in unsrer Stadt, meine ich.

SONDERRATH. Nicht lange, bis das Kölner Dampfboot fährt.

CLAUDINE. Lassen Sie es fahren! es kommt ebensogut über Weg ohne Sie. Nein, fort kommen Sie nicht, daran ist nicht zu denken. Wann kommt mal wieder ein solcher Kreis zusammen, das muß besser ausgebeutet werden.

FRAU VON AUSTEN knicksend. Unmöglich, Sie wollen uns schon fliehn? Geduld! ich will Ordnung machen; wir sehn alle aus, als wenn wir so davonlaufen wollten. Sie fängt an Stühle abzupacken; zu Willibald. Helfen Sie mir!


Beide packen drei Stühle ab und stellen sie zu dem vierten, auf dem Sonderrath gesessen. Sonderrath fährt zu und nimmt Claudinen einen Stuhl ab.


CLAUDINE. So! Hier, Herr Sonderrath – hier, Herr Willibald – und hier Frau von Austen und meine kleine Person. Sie setzen sich.

SONDERRATH. Verzeihen Sie, wenn ich vorziehe zu stehn; ich habe mich steif und müde gesessen im Schnellwagen.

CLAUDINE lebhaft. Gut, stehn Sie! stehn Sie! wie der Beklagte vor seinem Tribunal. Sie sollen auch auf Leben und Tod angeklagt werden, erstlich auf den Vorsatz böslicher Flucht –

WILLIBALD. Aufruhr gegen die angeborne Fahne der Frauenmacht –

FRAU VON AUSTEN zuckend. Felonie wie Wallenstein –

WILLIBALD. Verleumdung des vielbedrängten Mannes im Monde –

CLAUDINE. Wissen Sie was? Sie springt rasch auf und tritt vor Sonderrath; alle drängen sich dicht um ihn. Wir müssen doch überlegen, wie wir zusammensein können. Also – vorerst kommen Sie morgen früh zu mir – doch nein – lieber diesen Abend; Herr Willibald kommt auch und Frau von Austen; da sind wir ganz unter uns. In die Hände klatschend. O Gott, das wird köstlich werden! himmlisch! die ganze Luft wie elektrisiert![548]

FRAU VON AUSTEN. Ein Verein wie Klopstock, Gieseke, Schmidt.

SONDERRATH. Sie überschütten mich mit Güte, aber bedenken Sie –

CLAUDINE einfallend. Ich bedenke nichts, ich will nichts hören!

SONDERRATH. Daß ich ohne Gnade fort muß.

CLAUDINE. Ich höre nichts.

SONDERRATH ungeduldig. Ich werde aber gehen mit dem Dampfboot.

CLAUDINE pikiert. Hm, warum nicht lieber mit dem andern, dem Studentenboot?

SONDERRATH gereizt. Meinetwegen! Aber – Studentenboot? Zu Willibald. Gibt's ein Boot, auf dem vorzugsweise Studenten fahren? keine Da ..., keine andern Passagiere?


Claudine wendet sich beleidigt ab und lorgnettiert umher.


WILLIBALD. Das Fräulein spielen auf eine lustige Fahrt an, die ein Trupp flotter Gesellen, zumeist Studenten, heute um halb drei antreten werden.

SONDERRATH aufmerksam. So?

WILLIBALD. Ha, das ist eine brillante Geschichte! Sie haben das neue Dampfboot Lätitia auf vier Wochen dazu gemietet. Sonderrath stemmt den Arm in die Seite und nickt unternehmend. Bei jedem berühmten Weinwachs wollen sie anhalten und dort, mit Reben bekränzt, unter Gesang und Hörnerklang abends mit Fackeln – was weiß ich alles – an Ort und Stelle über das beste Gewächs entscheiden.

SONDERRATH nickt. Das gefällt mir! das ist echt anakreontisch!

WILLIBALD. An jeder Station soll einer der Gesellschaft ein Weinlied vortragen, es heißt, ein selbstgemachtes, – nun, die mehrsten haben sich's eben machen lassen.

SONDERRATH. Kennen Sie einige aus der Gesellschaft?

WILLIBALD. Ein paar; Nachsinnend. den Kaufmann Werth aus Andernach, – den Referendar Klinger –

SONDERRATH rasch. Aus Elberfeld?[549]

WILLIBALD. Jawohl! kennen Sie den?

SONDERRATH. Gott, mit dem habe ich in Bonn studiert! ein prächtiger Junge!

WILLIBALD. Dann den Auskultator Bernstedt –

SONDERRATH rasch. Aus Krefeld?

WILLIBALD. Kennen Sie den auch?

SONDERRATH immer sehr schnell. Mein Stubenbursche! mein guter langbeiniger Pylades! Trägt er noch immer so sentimentale blonde Schmachtlocken?

WILLIBALD. Mich dünkt, ich habe ihn kurzschopfig gesehn.

SONDERRATH. Schade, schade! nun kann ich ihn also nicht mehr den weißen Pudel nennen; jammerschade! Ei, ei, die beiden sind in der Stadt, Klinger und Bernstedt, und ich weiß es nicht, und ziehen gerade ab, wie ich komme, das ist Pech. Rasch. Wie spät ist es? Er sieht nach seiner Uhr.

EINE STIMME draußen. Wie? Herr Sonderrath hier? Die Tür wird schnell aufgemacht und herein tritt Seybold.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 543-550.
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