Vierzehnte und letzte Szene

[567] Speth, Ida am Fenster.


SPETH nachdem er ihnen eine Weile wie versteinert nachgesehn. Das muß ich gestehn, da fällt mir doch die Butter vom Brode. Hochmütige Kreatur! behalt deine Gedichte und lies sie dir selber vor; dann hast du ein Publikum, das dich anbetet. Ich meine wunder wie gut ich meine Sachen mache, und nun geht's mir so? Nachäffend, doch vor allem nicht karikiert. »Guten Morgen!« – Und der Seybold hätte mich auch lieber lebendig gespießt mit seinen Augen. Ich habe mich doch wahrhaftig vor Höflichkeit zusammengeschlagen wie ein Taschenmesser, es ärgert mich noch hintennach. Er setzt sich an den Tisch. Schöne Geschäfte heute! Die Rezensionen, da bin ich nun mal drum; wenn er mir nur nicht für die Zukunft ganz rappelköpfisch wird; mich dünkt, er ist bis über die Ohren verliebt in die stolze Pagelune. Nachsinnend. Hm, was frag' ich nach ihren Gedichten! Die kann sie ihrer Kammerjungfer vorlesen; aber die Rezensionen, die Rezensionen! Seufzend. Speth! Speth! Das ist ein Schnitt vom Brode. Er tunkt eine Feder ein; Läuten hinter der Szene.

IDA hastig. Vater, Vater! Das Dampfboot fährt ab!

SPETH. Meinetwegen! Er rechnet. Sechs und fünf macht elf –

IDA. Alles voll Festons, oben und unten! und drei Flaggen, blau, weiß und rot! Lautes Hurra, noch ziemlich entfernt.

SPETH. Schreit euch den Hals wund, ihr Narren! – Und sechzehn macht siebenundzwanzig Marsch von Blasinstrumenten. – und sechs macht dreißig, nein, dreiunddreißig – man kann nicht mal mehr addieren vor dem Gedudel da draußen.

IDA. Hu! Welch eine Menge von jungen Leuten, sie stehen alle auf dem Verdeck, Kopf an Kopf, und alle mit Rebenlaub bekränzt.

SPETH. Gut, daß sie stehn, so lange sie noch können, – und sieben macht vierzig. Er rechnet leise weiter und läßt[567] dann die Feder sinken. Hundertundzwanzig Louisdor Schaden – O weh, o weh! Nun, wenn mir nur der Sonderrath Stich hält, wenn mir nur die Reminiszenzen nicht echappieren! Fünftausend Taler perdu, das wäre noch ein anderes Leiden.

IDA. Da zieht einer von den jungen Leuten dem andern den Kranz vom Kopfe und steckt ihn an die weiße Flagge. Hastig. Gott, Vater, das ist Herr Sonderrath!

SPETH. Um Gottes willen, nein! Er läuft ans Fenster. Wo ist meine Brille? Ida, meine Brille!

IDA hastig deutend. Sieh Vater, der, der! der sich eben das Glas Wein einschenkt!

SPETH. Der ist ja blau, und – Sonderrath war grün –

IDA. Er hat den Mantel umgeschlagen –

SPETH keuchend. Meine Brille! Geschwind, meine Brille! gleich sind sie hier unter dem Fenster.


Ida greift die Brille vom Tische. Speth setzt sie hastig auf. Marsch und zweites Hurra ganz nah.


IDA. Sieh, sieh! er hebt das Glas auf – er nickt uns zu –

SPETH nimmt die Brille ab und läßt die Hände sinken. Perdu!


Der Vorhang sinkt, während des Marsches.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 567-568.
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