XXXII.

Die Arzneykunst der Lappländer.

[59] Alle Lappländer überhaupts sind ihrer Art nach munter und hurtig, und legen mit weniger Mühe vierzehen bis sechzehen Meilen des Tages[59] zuruck: ihr Leib ist von einer röthlichen Farbe, und ihre Haare sind schwarz; ihren Kindern geben sie, wenn solche kaum noch zwey Jahr alt sind, schon Brandwein. Die Lappländer haben einen ganz ausserordentlichen Schlaf, sie schlafen bey Tag von zehen Uhr bis um fünf oder sechs Uhr, und um neun Uhr legen sie sich wiederum Abends zu Bette, und schlafen bis um sechs Uhr des Morgens. Die schwedischen Lappländer haben keine solchen Gesichter, die oberhalb breit und unten spitzig sind, wie die andern. So wohl die einen als die andern speisen nur zweymal des Tages, nämlich des Morgens und des Abends; sie essen fast vom Frühling an bis in den Herbst nichts anders als Milch und Käß von den Rennthieren, und es ist zu bemerken, daß diese Milch fast gänzlich gerinnet, so daß man Wasser daran giessen muß, wenn man Molken machen will. Von dem Herbst an bis zum Frühling ernähren sie sich von Vögeln, Haasen, Bären und Rennthieren. Sie lassen das Fleisch derselben sieden, essen solches, und nehmen die Brühe davon; das Rind- und Schaffleisch ist bey ihnen nicht gewöhnlich. Ihre allervornehmste Speise ist die innere Rinde des Birken- und Tannenbaums. Das Salz ist ihr einiges Gewürz, welches sie häufig bey ihren Speisen gebrauchen. Sie machen eine besondere Speise aus Heidelbeeren und Himbeeren, die sie in Milch sieden lassen, und eine Art[60] einer Wurst oder Sausacks daraus machen, indem sie selbige in Rennthiermägen füllen. Sie bedienen sich ihres Mundes statt eines Trichters, und gebrauchen die Vorsicht, die gar zu grossen käßigten Stücker vorhero wohl zu kauen, ehe sie diese Art eines Sackes damit füllen, den sie in der Luft trocknen lassen, oder in Rauch setzen.


Die Lappländer wissen fast nichts von Wechselfiebern, der Wassersucht, dem Scorbut, noch von den venerischen Krankheiten. Die Kinderpocken und die Masern sind sehr seltsam unter ihnen, und wenn diese beyden Krankheiten einreissen, so sind sie weder tödlich noch allgemein. Es sterben sehr viele Kinder in ihren ersten Jahren. Die hauptsächlichsten Krankheiten, die unter den Mannspersonen bey ihnen statt finden, sind Flüsse auf der Brust, Schnupfen, krämpfigte, und blehende Colicken: Die Durchfälle, Augenkrankheiten, Zahnschmerzen, und die Frostbeulen, sind gleichfals sehr gewöhnlich bey ihnen. Die Angelica ist ein unumschränktes Mittel für sie wider die krämpfigte Colick, die insgemein bey ihnen von dem Wurm verursachet wird; sie essen die Wurzel dieser Pflanze, wenn sie nur ein Jahr alt ist, und den Stengel, wenn sie im zweyten Jahr stehet. Sie curiren so wohl die hitzigen Fieber, als auch die Flüsse und Durchfälle mit dem Stengel und der Blüthe dieser[61] Pflanze, die sie, ehe sie sich noch öfnet, vorhero wohl sieden lassen, und alsdann gebrauchen. Es geschiehet auch bisweilen, daß sie, weil sie in der Kräuter-Wissenschaft nicht sonderlich erfahren sind, an statt dieser Pflanze, die zwar an und für sich selbst sehr heilsam ist, ob sie gleich nicht jederzeit auf die gehörige Art gebrauchet wird, den Schierling nehmen, und folglich den Kranken vergiften. Das Reissen im Leib curiren sie mit der S. Ignatius-Bone, und mit Toback-Oel; wider die Schnuppen und Kopfschmerzen bedienen sie sich des Aschens von Wachholdersträuchen, den sie mit Tobackaschen vermengen. Sie gebrauchen das Fett der Ottern die Seiten damit wider das Seitenstechen zu schmieren, und die Haut dieser kriechenden Thiere, dienet ihnen zu einer vortreflichen Purganz; sie nehmen eines Nagels groß davon, verbrennen solche zu Staub, und geben ihn den Weibern in Geburtsschmerzen, und überhaupts allen Personen, die Verstopfungen haben, ein; man trauet nicht eine stärkere Dosin jemand davon zu geben, denn wenn man solche vermehrte, so würde sie tödliche Zuckungen verursachen. Sie nehmen den Wurm mit einer besondern Geschicklichkeit, so bald sie eine Spitze davon sehen. Wider die Verschlagung des Urins nehmen sie mit gutem Erfolg einige Löffelvoll Seehund-Fett ein. Dieses sind ihre vornehmsten Hülfsmittel. Welche Einfalt[62] herrschet also in ihrer Apothekerkunst! da sie ihre Arzneyen blos aus dem Pflanzen und Thierreich nehmen, und sich niemals des mineralischen Reiches bedienen, in welchem wir doch so viele Hülfsmittel finden.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 59-63.
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