XCVII.

Eine Frau wird über ein ausgeweidetes Schwein, das sie gesehen hatte, und eine andere deswegen närrisch, weil sie sich alle Tage an und abkleiden muste.

[205] Wenn sich jemand von unserer Vernunft einen gar zu grossen Begrif gemachet hätte, der darf nur bedenken, welche Kleinigkeit öfters im Stand ist selbige in Unordnung zu bringen. Ein wenig Wein verwirret sie, und ein Kind verführet sie, sagt die reizende Deshouillieres: sie druckt sich auch in einer Stelle, da sie mit ihren Schafen redet, also aus:
[205]

Ob wir gleich die Vernunft zu unsern Antheil haben

Die ihr unschuld'ge Thier nicht zu gebrauchen wist;

So bringt sie uns doch nicht, so sonders grosse Gaben,

Von einem solchen Werth, der zu beneiden ist.


Felix Platerus hat eine Probe hievon an einer Frau vom Stande gesehen, die eine ausserordentliche Neigung zur Nettigkeit hatte, und darüber, daß sie einstmals an den Thüren einer Fleischbank ein ausgeweidetes Schwein hängen sahe, närrisch wurde: wie, schrie sie, ist es möglich daß mein Leib mit solchen Unflath und garstigen Dingen angefüllet seye; ach mein Gott was für ein Elend ist es, so unsauber zu seyn! Sie konnte diesen traurigen Betrachtungen nicht länger nachhängen, die ihr den Kopf verruckten.


Eben dieser Beobachter erzählet, daß sich eine Frau oft mit Thränen gegen ihren Pfarrer über die verdrüßliche Nothwendigkeit beklagte, daß sie sich alle Tage an und auskleiden müsse. Dieses Frauenzimmer muß keine Liebhaberin des Nachttisches gewesen seyn.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 205-206.
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