CVI.

Von einem Kind, welches man noch lebendig aus dem Bauch seiner Mutter nahme, da selbige schon einen Tag lang im Grab gelegen war, und den besondern Zufällen, die diesem Kind nachgehends begegneten.

[226] So fein und zart auch unsere Organa sind, und so wenig öfters dazu erfodert wird, unsern Tod zu befördern, so zeigt sich doch auch aus einigen Beyspielen, wie schwer und mit wie vieler Mühe dieser erste Stoff, der uns belebet, zerstöhret wird.


Franz von Civille, ein Edelmann aus der Normandie, war Hauptmann über eine Compagnie von hundert Mann, in der Stadt Rouen, zu der Zeit, da diese Stadt von Carl IX. belagert wurde, und war dazumal sechs und zwanzig Jahr alt. Er wurde zuletzt bey einem Sturm tödlich verwundet, und nachdem er von dem Wall in den Graben gefallen war, so warfen ihn einige Schanzgräber, da sie ihm vorhero seine Kleider ausgezogen hatten, nebst einem andern Körper, in einen Graben, und bedeckten ihn mit etwas Erde. Er blieb daselbst von eilf Uhr vormittags bis um halb sieben Uhr gegen Abend liegen. Sein getreuer[227] Bedienter bemerkte, da er ihn umarmete, noch einige Kennzeichen des Lebens an ihm, und trug ihn in das Haus, wo er zu wohnen pflegte. Er lag daselbst fünf Tage und Nächte lang ohne zu reden noch sich zu bewegen, noch sonst ein Zeichen einiger Empfindung von sich zu geben, war aber so heiß von einem Fieber, so kalt er in dem Graben gewesen war. Nachdem die Stadt mit Sturm erobert worden war, warfen ihn die Bedienten eines Officiers von der siegreichen Armee, der in dem Haus, wo Civille lag, sein Quartier nehmen sollte, in eine hintere Kammer, von welcher ihn die Feinde seines Bruders zum Fenster hinunter stürzten; er fiele glücklich auf einen Misthaufen, auf welchem er länger als dreymal vier und zwanzig Stunden im blossen Hemde liegen bliebe. Nach Verlauf dieser Zeit schickte ihn einer seiner Anverwandten, der sich erstaunlich verwunderte, daß er ihn noch ledendig antrafe, an einen eine Meile weit von Rouen gelegenen Ort, wo er verbunden und versorget wurde, und endlich seine völlige Genesung wieder erlangte. Dieses ist noch nicht alles; die Geburt des Civille ist eben so wunderbar als das was wir gelesen haben, und war gleichsam eine Art der Prophezeyung der zukünftigen Dauerhaftigkeit seiner organischen Lebens-Theile. Seine Mutter starb währender Abwesenheit ihres Mannes mit schwangern Leib, und wurde begraben,[228] ohne daß man das Kind durch den Kaiserschnitt zu retten suchte. Des folgenden Tages langte der Mann an, und erfuhr mit Erstaunen den Tod seiner Frau, und daß man so wenig Sorge für ihre Leibesfrucht getragen hatte: er ließ sie ausgraben und ihr den Unterleib öfnen, aus welchem Civille noch lebendig herausgebracht wurde.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 226-229.
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