CXIV.

Eine Art einer einige Zeit lang daurenden Schlafkrankheit welche, nachdem sich zwey Würmer zeigten, wieder vergienge.

[247] Wie sehr hängen nicht die Wirkungen unsers Verstandes, die Uebung unserer Vernunft, die Kräften unserer Seele, und dieses unbekannte erste Wesen, das uns beweget, von den Werkzeugen ab, deren Bewegung unser Leben verursachet! Ein geringer Anstoß verursachet öfters einen grossen Schaden unter ihnen, verderbt sie, und bringt sie in Unordnung. Wundert euch nicht, sagt Paschal, daß gegenwärtig der gröste Mensch von der Welt nicht geschickt urtheilet, eine Mücke sauset ihm vor den Ohren; und das ist schon genug ihn untüchtig zur Ertheilung guter Rathschläge zu machen. Wollt ihr, daß er die Wahrheit finden können solle, so verjaget dieses Thier, welches seine Vernunft im Zaum hält, und diese mächtige Einsicht stöhret, welche Städte und Königreiche regieret.
[247]

Herr Van Swieten wurde geholet eine Frau zu besuchen, die in einen schläfferigen und zuckenden Zustand verfallen war. Sie war eben mit Kastanien braten beschäftiget, die sie über dem Feuer umrührte, da sie plötzlich Sinn- und Bewegungslos in der nämmlichen Stellung stehen blieb. Man suchte ihr einige Hülfsmittel zu verschaffen, aber zwey kleine lebendige Würmer, die sie aus dem Mund von sich gabe, erspahrten dem Arzt diese Mühe. Das besonderste dabey war, daß sie den Augenblick darauf ihre Kastanien wieder anfieng umzurühren, und sich sehr verwunderte, daß sich so viele Leute um sie herum versammlet hatten: sie hatte von allen dem was vorgegangen war, nicht den geringsten Begrif. Haben die Würmer, durch die angewandte Bemühung ihren Ausgang zu suchen, so viele Unordnung erreget? Dieses ist ein durch eine so geringe Ursache veranlaster grosser Zufall. Welcher Arzt würde dieses wohl für die rechte Ursache gehalten haben?

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 247-248.
Lizenz: