[Die Sinne, die uns in die Höhe führen]

[23] Die Sinne, die uns in die Höhe führen,

Durch die das Licht in unser Inneres bricht,

Durch die wir selbst die Sternenwelt berühren,

Durch die das Weltgeräusch zur Seele spricht,


Hat sich der Menschengeist berauscht erweitert,

Das Lied ist seinen Lippen bleich entschäumt,

Ein Bildertraum hat seine Welt erheitert,

Er selbst sich gegen Dünkel aufgebäumt.


Es war die Seele so von Sonngewalten

In edlem Gleichgewichte aufgethürmt,

Dann konnte sie den Leib noch umgestalten,

Und Schönheitsfreude hat sie bald durchstürmt.


Nach ihren eigenen Daseinsproportionen,

Nach Maaßen, die dem Körper Stolz verleihn,

Erschuf sie Tempel, wo Gedanken wohnen,

Und lud sich Träume in ihr Inneres ein.


Es will die Seele lauter Fesseln sprengen,

Da sie ihr Dasein selber überdacht,

So mag der Geist sich aus den Massen engen,

Denn es gelüftet ihn nach Eigenmacht.


Es fühlt die Seele, tief in sich verschluchtet,

Die Jugendsprudel, die das Leben birgt,

Und liebt darum den Fluß, der stumm befruchtet,

Und so wie sie nur werthlos Gutes wirkt.


Das was die Daseinswildniß je belebte,

Kam stets als breiter Uferstrom heran,

Und war, als es ein stilles Sein erstrebte,

Was frei die liebe Welt begreifen kann!
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Ist es Erinnerung, ist es ein Hoffen,

Wenn Du in Wolken Welttragödien liest?

Steht noch ein Sonnenreich dem Menschen offen,

Ein Tag, wo jeder Strom zum Lichte fließt?


Die Götter werden zwar in uns geboren,

Doch etwas giebt es, das durch sie geschieht,

Sie werden erst als Seelenhalt erkoren,

Wenn man sie hoch über sich selber sieht!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 3, München; Leipzig 1910, S. 23-25.
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