5.

[101] Und wieder nah'n die düstern,

Hohläugigen Geister der Nacht,

Mit sinnbetörendem Flüstern

Und prüfen gierig und lüstern

Die alte, gewaltige Macht.


O rette, Geliebte, rette!

Hör' meinen verzweifelnden Schrei!

Nicht schreckt sie die heilige Stätte,

Sie schließen um mich ihre Kette,

O hilf, o steh' mir bei!


Auflodert das tollste Begehren,

Der Sünden schlummernde Brunst,

Bei ihrem Gifthauch schwären

Der Seele Wunden und leeren

Ins Hirn ihren krankhaften Dunst.[101]


Mein tiefes, keusches Lieben

Die flammende Gier durchloht,

Die reinen Gedanken entstieben,

Und nichts ist zurück mir geblieben,

Als wollustrasende Not.


Sieh meine zuckenden Glieder, –

Des Mundes blasigen Schaum;

O neig' zu mir Dich nieder, –

Hinweg das starre Mieder,

Für meine Lippen Raum!


Hinweg von Deinen Brüsten

Das faltige Schleiergewand,

Es ringt mein ganzes Gelüsten

Nach keuschen, ungeküßten,

Hinweg, hinweg Deine Hand!


Ich fühle mein Aug' sich verglasen,

Mein Leib verkohlt, verbrennt,

Jetzt mußt Du mit mir rasen, –

Mußt teilen meine Ekstasen,

Der Seligkeit höchsten Moment.


Quelle:
Felix Dörmann: Neurotica, München und Leipzig 1914, S. 101-102.
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