Abbadon triumphans

[85] Aus türkisblauer Wasser Wirbel steigt

Ein nacktes Felseneiland schroff empor. –


Um seiner Wände dunkelstolze Wehr

Der Meereswellen wildbewegter Reigen

In ewig ruhelosen Tänzen tobt.

Kein Menschenfuß trat jemals dieses Eiland

Und nie vernahm es eines Menschen Schrei.

Der heilige Albatros nur rastet dort

Nach weiten Flügen und der wilden Schwäne

Der wanderfrohen, wilden Schwäne Schaar.

Dort aber, wo der Klippen Zackenkrone

In jähem Sturz an's Meer herniederbricht,

Dort auf des Eilands sturmgeliebter Höhe

Erschließt sich eine Grotte kühl und weit ...

Basaltkrystalle, riesengroße, steigen

Wie Bündelpfeiler dunkelschwer empor

Als trügen sie der Decke stolze Wölbung.[86]

In lichtlos-grauser Tiefe tanzt die Flut

Und stürzt sich tosend durch die Felsenkammern

Und heult empor in zügelloser Wut.

Und graue Dämmerung lastet in der Grotte

Und blauer Schatten bis zur Abendzeit.

Doch wenn die Sonne tief im Westen steht,

Dann trifft ihr letzter Blick der Grotte Raum.

Und weich und zärtlich schweift ihr Strahlenauge

Um eines Lagers stolz erhöhten Bau.


Dort aber schlummert, bleich und wundenblutig

Ein Jüngling-Mann. Zurückgesunken ruht

Das edle Haupt, das welk ein Lorbeerzweig

Und ein zersprung'ner Kronenreif umschlingt.

Und halb im Traum die bleiche Lippe murmelt:

»Der Sieger bin ich, der die Nacht bezwang,

Der Morgen naht für alle Erdensöhne,

Der große Morgen und das große Glück,

Nun kam die Zeit.«

Er aber, der das Königslager hütet,

Der Engel mit den hohnverzückten Augen,

Der Engel der Vernichtung, Abbadon,

Er lächelt, lächelt ...

Quelle:
Felix Dörmann: Sensationen, Wien 1897, S. 85-87.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sensationen
Sensationen (German Edition)