|
[89] (Fragment.)
Tubal.
Wie aufgescheuchte Rabenschwärme kreisen
Gedanken mir durch's schwüle Hirn, Gedanken
So dunkelschwer, so räthselhaft und süß,
Wie sie noch niemals, niemals mir gekeimt;
Vor meinen Augen wirbeln Feuergarben,
Gestalten wogen meinen Blicken auf,
Unirdisch, grauenhaft und doch verlockend,
Und meine Nerven streichelt seltsam-süß
Ein Duft von Weihrauch und verdampftem Blut,
Und eine Sehnsucht rieselt durch die Seele,
Die mich nach dunklen Zielen stürmisch jagt.
Verworrne Träume, die der Knabe träumte,
Sie steigen sonnenglitzernd mir empor
Und werden sinnvoll und lebendig-klar.[90]
Und zwischendurch wie Meereswellen singt
Und schreit die Sehnsucht zügellose Lieder ...
Nach Qualen dürstet die entflammte Seele,
Nach Qualen, die kein Mensch bis heute trug,
Nach Qualen, die kein Mensch in Worte zwang,
Nach jenen höchsten, letzten, tiefsten Qualen,
Aus deren Schoß das wilde Glück entsprungen
Und jene grausenvollen Seligkeiten,
Die nur die Geisterschaar des Abgrunds kennt,
Und die der Staubentstieg'ne schauernd flieht.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Was Menschen fühlen und empfinden können,
Ich hab's empfunden und gefühlt zur Neige.
Zur letzten Grenze bin ich fortgeschritten,
Durchmessen hab' ich ruhelos das Reich –,
In dem sich Lust und Qual die Herrschaft theilen,
Und müde ward ich menschlicher Gefühle.
Der reiche Reigen, den das Leben bietet,
Er ward mir leichenfahl und leichenekel,
Und meine Seele weint nach neuen Zielen.
– – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ein grünes Licht vor meinen Augen zittert,
Um meine Seele schwirren Seufzerchöre,[91]
Aus dunklen Schleiern stiert ein fahles Haupt,
Und dort ein zweites ... qualversteinte Züge
Und blutbetropfte Lippen tauchen auf,
Ein drittes Antlitz dort mit irrem Lächeln,
So naht Ihr Geister, die die Sehnsucht rief.
Chor der Dämonen.
Dem glühenden Vertrauen
Sei der Gewährung Heil;
Dein Auge soll uns schauen,
Doch ahnend nur, denn Grauen,
Vernichtung wär' Dein Theil;
Wenn uns Dein Blick erspähte,
Wie eine nur uns schaut,
Sie, die Dich oft umwehte,
Der stammelnd im Gebete
Dein Herz sich anvertraut.
Der Menschensohn, dem Lüge
Nur Kraft zum Leben lieh',
Der Menschensohn ertrüge
Die unverhüllten Züge
Der Qualdämonen nie.
[92] Dämonenreigen:
Verzweiflung.
Mein fahler Fittig im Kreis Dich umzog,
Mein würgender Finger den Nacken Dir bog,
Es lähmte die Lungen mein pressender Arm,
Ich blies Dir in's Herz den verzehrenden Harm;
Ich habe Deine Seele gepeitscht und zerfleischt,
Bis dass sie vor Qualen zum Himmel gekreischt.
Ich höhle die Wangen, ich bleiche das Haar,
In Nacht und Verzweiflung mich Lilith gebar.
Wahnsinn.
Mein Scharlachfittig erbrauste –
Und – brennend ein Wüstensturm schnaubt –
Und rauchend ein Feuerstrom sauste
Das Blut Dir zum fiebernden Haupt.[93]
Und wenn Deine Hände sich ballten,
Dein Körper sich stöhnend gedreht,
Wenn Flüche die Lippen jetzt lallten,
Und jetzt ein Erlösungsgebet –
Und wenn Du mit knirschenden Klagen,
Aufweinend – an Boden und Wand
Den ruchlosen Schädel geschlagen,
Ein Athmen des Glücks ich empfand.
Selbstmord.
Mein dunkler Fittig, feierlich und schwer,
Warf seine Schatten über Dich schon her,
Wenn Dich Dein wüstes Leben angegraut,
Hab ich in's Auge drängend Dir geschaut.
Ich jagte Dich der schroffsten Klippe zu
Und mahnte Dir in's Ohr, dort winkt die Ruh',
Die Waffe drückt' ich in die scheue Hand,
Die Todessehnsucht schürt' ich Dir zum Brand,
Und manche lange, qualenschwüle Nacht
Hab' Hand in Hand mit Dir ich zugebracht.
[94] Chor der Dämonen.
Der Menschensohn, dem Lüge
Nur Kraft zum Leben lieh',
Der Menschensohn ertrüge
Die unverhüllten Züge
Der Qualdämonen nie.
Tubal.
Und wenn der Hölle Schrecknis hüllenlos
Und grausig-klar vor meinem Blick erstünde,
Wenn Abbadona oder Lilith selbst
In dunkler Pracht vor meinen Blicken schwebten,
Mit keiner Faser scheut' ich je zurück.
Die Menschenfurcht hab' ich zurückgelassen,
Seit ich vergessen, dass auch mich dereinst
Ein schwaches Weib als Menschensohn geboren.[95]
Ausgewählte Ausgaben von
Sensationen
|
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro