XXI. Brief

Amalie an Fanny

[40] Nun ists entschieden, meine liebe Fanny! – Die Eifersucht meiner Base wurde mir unausstehlich! – Ich verlies dieses Haus, gieng zu einer andern Verwandtin, und nun endlich gar von dem nemlichen Orte weg. – Auch erhältst Du jezt diesen Brief aus dem Hause meines Oheims von mütterlicher Seite, der in L*** wohnt. Auch dessen Weib, ist eine von den Alltagsseelen, die man so häufig gerade unter Blutsverwandten findet. Sie empfieng mich mit einer stolzen Fühllosigkeit, die mich beim ersten Eintritt zurükgeschrökt hätte, wenn mir nicht meine gute Großmutter desto zärtlicher um den Hals gefallen wäre. Die arme alte Frau! – Wie[40] dauert sie mich! Sie hatte die gutherzige Unbesonnenheit, ihr ganzes Vermögen ihrem Sohne und seiner unbarmherzigen Ehehälfte zu überlassen. Wofür sie sich ein Leben voll Zank und Mishandlungen eintauschte. Die junge ausgemästete Schwiegertochter poltert, schreit, lärmt, wie eine Furie, in ihrem Hauswesen, und stopft mit der armen Alten die Dienste einer Kindsmagd aus. – Die bittern Thränen einer grauen Mutter rühren den Sohn nicht, weil ihn sein Weib bei seiner Schwäche pakt, und ihm alle Klagen dieser Frau als Grillen des Alters schildert. – Hier denke ich wohl nicht lange mehr zu verweilen, denn ich kann die allzusauren Gesichter meiner Tante eben so wenig leiden, als die allzusüßen, womit mich mein Oheim beehrt. – Blos um meiner lieben Großmutter willen zögere ich noch einige Tage, denn das Bild meiner verlornen Mutter erneuert sich in mir durch ihren Anblik. – Auch wünscht mich mein lieber Vater, durch seine Briefe, mit jedem Posttage zurük. – Und wie leid thut es mir, daß ich ohne Rechnung von meinem Vormund zurükkehren muß, da dies doch eigentlich die Absicht meiner Reise war. – Muß mich nun mein Vater nicht für nachläßig in diesem Geschäfte halten? – Aber wer kann Schurken zur Redlichkeit zwingen? – Wenigstens konnte ich keine Rechnung von ihm erzwingen. Auch muß ich Dir noch sagen; nicht weit von der hiesigen Stadt, wohnt eine Bekannte von mir, die ich ehemals als ein gutes Mädchen kannte; vorher noch will ich diese besuchen, und dann kehre ich in die Arme meines Vaters zurük. – Dieses Mädchen hat sich erst vor Kurzem verheirathet, und ich bin äußerst neugierig, wie ihr das neue Eheband schmeckt? – Ehemals sprachen wir Beide oft miteinander von Liebe, aber sehr wenig von der Ehe, weil wir zu verschiedene Begriffe davon hatten, und uns oft ein wenig darüber zankten. – Sie hielt den Ehestand für Tändelei, für Blumenfeßeln; ich hingegen hielt ihn[41] für den gefährlichsten Schritt in unserer weiblichen Laufbahne. Sie war eine Schäkkerin von der ersten Gattung, und immer etwas leichtsinniger als ich. Eben darum bin ich begierig, wie es mit ihr ausgefallen ist. – Das nächstemal ein mehreres, lebe wohl, liebe ernsthafte Freundin!


Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 40-42.
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