XXIII. Brief

An Fanny

[44] Daß ich zu dem neuverheiratheten Weibchen reisen wollte, sagt ich lezthin, und daß ich nun bei ihm bin, sag ich Dir heute. – O Gott! – Wie hat sich dies Geschöpf geändert! – Weg ist aller Leichtsinn, weg alle Lebhaftigkeit, weg alle Freuden der Jugend! – Sie lebt mit ihrem Manne in einer Kälte, die nahe an Gleichgültigkeit gränzt. Sie schweift nicht aus, aber erfüllt mürrisch ihre Pflichten, sie läßt ihn keine Bosheit fühlen, aber zeigt ihm auch kein gutes Herz, sie ist nicht munter, aber auch nicht empfindsam traurig, sie liebt nicht und haßt nicht, kurz sie ist eine freudenlose Maschine. Ihr Mann ist auf sie eifersüchtig und mistrauisch, und sezt dem guten Weibchen gerade auf der rohen Seite zu. Gelinde Vorwürfe sind dermalen schon von beiden Seiten aus ihrem Umgange entfernt, und es wird nicht lange dauern, so bricht eine Rebellion gegen das Bischen Duldung aus, das sie einander aus Wohlstand noch schuldig sind; und dann gute Nacht Hausfrieden, gute Nacht Ehre! – Ich mag jezt der Unglüklichen keine Vorwürfe über den zu leichten Begriff, den sie von der Ehe hatte, machen; sie würde sonst den Betrug und ihr Elend doppelt fühlen. Und zu Dir im Vertrauen, liebe Freundin, ich habe wenig Hofnung zu glüklichern Zeiten für diese zwei jungen Leutchen, denn beide besizzen einen so halsstarrigen Eigensinn, der für den Zuschauer bis zum Ekkel geht. Ueberdies noch sind die Mutter und Schwester des Mannes sehr wider die junge Frau eingenommen,[44] und die schieben Holz zum Feuer, so oft und viel sie können. Uebrigens bin ich hier wohl aufgenommen und gut bewirthet worden. Auch will ich mich einige Tage länger hier aufhalten, und wäre es auch blos um eines gewissen Doktors willen, der mir so ziemlich ans Herz geht. Du weist ja, daß es nur einer schmachtenden, süßen Schwärmerei bedarf, um meiner schon fertig gestimmten Einbildungskraft zu begegnen. Und denk Dir nur, das allerliebste Herrchen scheint mich ganz zu verstehen. Er ist wizzig, schäkkernd, tändelnd, und bringt meiner Eigenliebe manches Opfer. Stürmisch ist er nicht, aber sanft, gut und gefällig; kurz, was weis ich, was meine gährende Einbildung noch alles für Vorzüge in ihm entdekt? – Du wirst mir wieder mit einem tüchtigen Sittenspruch in deiner Antwort entgegen kommen, das weis ich schon zum Voraus. Aber bei einer Träumerin von meiner Gattung, bleibt es leider immer beim Sittenspruch und nicht bei seiner Wirkung. Sage mir aber dennoch deine Meinung darüber; aber, liebe Freundin, nur nicht mehr so strenge. – Ich freue mich auf deine Strafpredigt und küße Dich zur guten Nacht. –


Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 44-45.
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