XXXIX. Brief

An Fanny

[83] O theure, Beßte! – Schlag, auf Schlag donnert das Elend meine Jugend nieder! – Noch kann ich die entsezliche Nachricht kaum fassen, die mich vollends zur Waise machte! – Mein Vater ist todt, und mit ihm alle Freuden der Schöpfung, die mich durch die vertrauten Bande der Natur noch an sie fesselten. So schnell, so früh hat sie ihn mir entrißen, die Hand des Schiksals! – Und mich nebst meiner noch unerzognen Schwester zu verlaßnen Waisen gemacht! – Alle Menschen, die um mich herum waren, suchten mit dem äußersten Gefühl des Mitleids mir diese herzerschütternde Neuigkeit zu verbergen, weil man die Heftigkeit meines Grams kennt. O, das war ein grausam barmherziger Aufschub! – Denn die Ungewisheit, die ich auf allen Gesichtern im Hause las, folterte meine Seele um so mehr, weil ich zum Voraus von der Krankheit meines Vaters unterrichtet war. Sinnlose Betäubung, so behutsam diese Menschenfreunde ihre Nachricht einkleideten, schlug mich zur Erde hin!!! – Und als ich zum neuen Menschenelend wieder erwachte, war anhaltender Gram mein Loos! – Die Trennungen des Bluts sind die schröklichsten in der Natur; wenn diese Urheberin unsers Daseyns einen Theil ihrer schönsten Harmonie von uns reißt, dann fühlt sich der übrig gebliebene einem kränkelnden Blümchen ähnlich, das blos noch zur marternden Strafe sein Leben behält. Ich dünke mich jezt elternlos so verloren in der ganzen weiten Schöpfung! –[83] Gepeinigt von dem drükkenden, für glükliche Menschen so unbegreiflichen Kummer, und erst jezt bin ich überzeugt, daß Furcht, Zagheit und äußerster Jammer das Erbtheil des nervenschwachen Weibes sind! – Meine Schwester! – Das unschuldige Opfer des Zufalls! – Meine Schwester! Was wird aus ihr werden? – Ihre Erziehung, die ich aus Mangel an Glüksgütern nicht besorgen kann, ist ein Gegenstand mehr, der mir meinen Kummer noch verbittert! – Gott im Himmel, wie mich der Gedanke durchzittert! – Daß vielleicht ihre junge, weiche Seele aus Zwang in die Hände ihres Vormunds fällt, unter die Aufsicht eines Manns, der zwischen Thier und Mensch blos den Unterscheid der Gestalt trägt. – Ich muß hin zu meiner Schwester, ich will sie ihm aus den geizigen Klauen reißen, diese arme verwaiste Unschuld; deren verwahrloste Bildung mich einstens schröklich in meiner lezten Stunde drükken würde! – Die Natur hat mir Jugend, ein gutes Herz, Kopf und Gesundheit gegeben, ich muß dies alles mit meiner Schwester theilen, das sagt mir die wohlthätige Stimme der Natur, das sagt mir mein Gewissen, das sagt mir der Geist meines Vaters, der mich diesem Kinde zur Trösterin, zur Mutter hinterlies! – Wie viel bittere Thränen wird das arme Mädchen auf dem Grabe ihres Vaters verweinen! – Was sie jammern wird, die Verlaßne, um meine Zurükkunft! – – Was ihrem jungen Gefühle die Bilder des Grams für Wunden schlagen werden! Kaum öfnet sich ihr zartes Herz den Eindrükken der Freude, und schon wird diese Freude durch Angst und Leiden getrübt! – O Schiksal! – Du bist manchmal gegen deine Untergebenen zu hart, daß du nicht einmal die blühende Unschuld verschonst! – Fanny! – Wenn ich mir das Kind, neben dem kalten Leichnam meines Vaters, blaß und verweint denke, wie sie da steht, einsam und verlassen, seine starre Hand ergreift, sie tausendmal[84] küßt, und nicht weis, an welches fühlende Menschenherz sie sich wenden soll, weil ihr mit dem Vater Alles starb, woran sie sich ketten konnte! – Ich muß mich wegwenden von diesem schröklichen Bilde, sonst beugt es mich zu tief! – Gott! – Wie elend ist der Mensch, wenn er das Bischen Freude wegrechnet, das er während seines unschuldigen Puppenspiels genießt! – Mit ihm wird Gram und Drangsal geboren und die Freude über seine Geburt ist der Tod seiner Zufriedenheit. Traum des menschlichen Glüks, du bist es, der das hervorragende Elend nur mehr vergiftet! – Weil du die lüsterne Sinnen der Menschen auf einige Minuten zu belügen weißt! – Immer behält das Unglük unter der Menschheit die Oberhand, und wer sich auf etwas besseres freut, hält sich an eine Seifenblase, die mit jedem Hauche wieder verschwindet. Bei meinem Alter sollte mich die Natur von allen Seiten anlachen, und doch ist finsterer Tiefsinn das Loos, was sie mir zuwarf! – Nicht einmal ein wenig Leichtsinn gab sie mir, diese Mutter ihrer Kinder; nein! – So barmherzig war für mich die Natur nicht; sie hat mich dafür tief fühlen gelehret, sie hat mir weiche Nerven gegeben, damit ich die Härte meiner Schiksale weit schröklicher als ihre Lieblinge empfinde, die mit ihren kalten Herzen eben dieser Natur nicht einmal eine Thräne des Danks zu weinen im Stande sind! Theuerste! – Du allein bist Zeuge meiner unglüklich verlebten Tage, sey also auch Zeuge meines Dankes, den ich jezt knieend dem Schöpfer bringe, der mich zu allen diesen Martern bestimmt hat! – Bitte mit mir, Fanny, den Vater im Himmel um seinen Beistand für meine trostlose Schwester und mich! – Gerne würde ich jezt beim Troste der Religion mit Dir verweilen, aber man ruft mich wegen einem Brief, der vom guten Oheim aus K*** eintraf. Ich muß hineilen, vielleicht enthält er Trost! Und dann, meine Liebe, bin ich bald wieder bei Dir......[85] Fanny! – Das Herz meines Oheims in K*** ist einer Krone werth! – Ist es möglich, daß der Mann bei seinen wenigen Einkünften die reiche Tiegerbrut meiner übrigen Anverwandten in der Großmuth so sehr beschämt! – Im Kloster S... G..... lebt noch ein reicher Oheim zu mir. – Ein Mann, der heimliche Schäzze besizt und sich aus Fühllosigkeit in die Kutte wikkelte. – Kalt, hartherzig, voll Bigotterie und Pfaffenstolz ist seine Seele. Geiz und Eigennuz haben die Unmenschlichkeit in ihm erzeugt, – auch nicht eine Thräne dringt von uns armen Waisen in sein Felsenherz, das er mit Heuchelei der leidenden Menschheit verschließt. Und dieser Unmensch, der der geistlichen Würde Schande macht, ist eben sowohl mein leiblicher Oheim als der in K***. Lezterer hat ihn zur Hülfe für uns elternlose Kinder aufgefordert, und ein lügenhaftes Kazzengeschrei von geschworner Armuth und dergleichen Gaukeleien war seine Antwort. Es ist doch bewiesen, daß dieser harte Mann jährlich eine ansehnliche Summe Spielgeld von seinen Obern erhält, die er freilich mit mehr Sinnlichkeit verschwenden wird, als wenn er es für die hinterlassenen Kinder seines gegen ihm so wohlthätig gewesenen Bruders anwenden würde. Es scheint unbegreiflich, daß so verschiedene Herzen durch das nemliche Blut belebt werden können. – Auch mein theurer, gütiger Oheim in K*** ist ein Diener Gottes, aber zur Ehre dieses Gottes gefühlvoll und menschlich, wohlthätig, aufgeklärt, barmherzig, ohne Heuchelei, und nicht wie jener unreine Priester der Religion, der aus Eigennuz die Stimme der Natur erstikket. – Vergieb mir, meine Liebe, wenn ich keine Larve leiden kann, die mancher gutherzige Thor nicht so leicht durchsieht, wenn sie ihm unter dem Dekmantel der Andächtelei aufgetischt wird. Tugend an einem Gesalbten zu vermissen, kränkt mich weit mehr, als an andern Menschen, weil er als ein treuer Diener der Tugend, wenigstens nur[86] öffentlich, erscheinen soll. – Wahr ists, der würdige Priester hat, bei den so sehr verdorbenen Sitten der Priesterschaft, Stärke der Vernunft nöthig, um das Vorurtheil zu beschämen, und verdient Lorbeeren, wenn er seine Moral aufs gute Beispiel und auf das Wohl der Menschheit festsezt. In diese leztere Klasse gehört gewis mein würdiger Oheim in K***. Er steht in Diensten seines Fürsten, hat keine andere Einkünften, als die Belohnung seiner Dienste, und ist doch dabei so überschwenglich menschenfreundlich, als ob ihm das Schiksal überflüßige Glüksgüter zugeworfen hätte. – Reich an gutem Herzen wird dieser Mann von allen Unglüklichen verehrt, geliebt und, ich darf es wohl sagen, als eine feste Stüzze der Religion, als ein duldender Christ, als ein sanfter biederer Freund der Elenden beinahe angebetet. – O, dieser Gute! – Er beschwört mich, über den Verlust meines Vaters nicht meine Gesundheit aufs Spiel zu sezzen, er wundert sich über meine übertriebene Kleinmuth und öffnet mir sanft sein neues Vaterherz, drükt mich in Gedanken tröstend an seinen Busen, und ist willig, sein Aeußerstes für uns arme Waisen zu thun. Nur bittet er um Zutrauen, um Beruhigung, um Schonung meiner Gesundheit. In wenig Tagen reise ich auf seinen Wink zu dem Grabe meines Vaters und in die Arme meiner beßten einzigen Schwester. – Vergiß deine gebeugte Amalis nicht! –

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 83-87.
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