XLVI. Brief

An Fanny

[110] Ha! – Meine Freundin! – So ist denn alles Betrug, Heuchelei und Verführung, wo ich nur immer meinen Fußtritt hinsezze! – Der Oheim in K*** rief mich vor kurzem zu sich und übergab mich mit Thränen der Rührung jenem weitschichtigen geistlichen Vetter, wovon ich Dir lezthin sprach. Du hättest sie hören sollen, die seelendringende Moral, mit der mich mein Oheim diesem schwarzrökkichten Heuchler empfahl. – »Sie kennen meine Lage, sagte er zu ihm; Sie wissen, daß ich dieses Mädchen nicht bei mir behalten kann, handeln Sie großmüthig, handeln Sie edel an ihr, sie ist eine Waise, und in den Jahren, wo sie Schuz, wo sie Hülfe benöthigt ist. – Die Rechtschaffenheit dieses Mädchens sey Ihnen heilig! Sie ist lebhaft, aber hat dabei ein gutes Herz. – Rein und unverdorben ist ihr Karakter, er theilt sich mit vollem Zutrauen Andern mit. – Sie hat Vernunft, aber nicht hinlängliche Menschenkenntnis. Sie ist gerade in den Jahren, wo jeder Trieb in ihr zum Kampf und jede Leidenschaft zur Gefahr wird.« – So dringend sprach dieser Edle dem Verführer ins Herz. – Endlich reiste ich in seiner Gesellschaft ab. – Die Reise gieng nach einem benachbarten gräflichen Hofe, wo eben dieser Geistliche noch zuvor den[110] Grafen, seinen Freund, besuchen wollte. Arglos, voll Zutrauen saß ich neben ihm im Wagen, dachte an nichts, als an meinen zurükgelaßenen Oheim. – Der Stern, den dieser Elende auf der Brust trug, glänzte mächtig, aber um destoweniger das Herz, das darunter schlug. Seine prächtige Equipage, die vielen Bedienten, die auf jeden Wink von mir lauerten, um ihn zu erfüllen, kurz der große Ton, auf den wir reisten, gefiel meiner Eitelkeit unbeschreiblich, bis mir endlich auf einmal die schleichenden Gefälligkeiten dieses Weichlings verdächtig wurden. Ich hätte eher die Welt verwettet, als von so einem Manne Absichten auf mich armes verlaßenes Ding vermuthet. Und doch, meine Fanny, fiel es diesem Verworfnen ein, mich mit Reden zu ängstigen, die mir die ganze Abscheulichkeit seiner Seele verriethen. Gott! – Was werden das für Tage werden, in der Gewalt eines solchen Weichlings! – Zwar ist mir mein freier Wille und mein Abscheu fürs Laster Bürge für jeden Fehltritt, wenn derselbe auch zu unverschämt dringend würde. Ein Mädchen, das Ehrengefühl und Kopf hat, läuft wohl Gefahr geplagt, aber nicht so leicht überrascht zu werden. Doch weiter: Wir blieben also etliche Wochen an obbemeldtem Hofe. Die Tage, die ich daselbst verlebte, waren mir zur Last. Ich sahe da die Falschheit mit Schmeicheleien, mit Büklingen und mit Küßen verschwistert; ich sahe die Lüge im goldenen Kleide prangen; ich sahe Wollust, Hartherzigkeit, Eigennuz, Betrug, Heuchelei vom Morgen bis in die späte Nacht in voller Bewegung. Dummheit, Neid, Thorheit, Verläumdung wurden in das Gewand des Wizzes gehüllt. Redlichkeit, Gefühl, Menschenliebe hatte der Ueberfluß sogar aus dem Herzen des untersten Küchenjungen verjagt. Diese Höflinge schwelgten wie unsinnig im Laster und waren unter einander so wenig vertraut, daß sich Einer vor dem Betrug des Andern fürchtete. Du kannst Dir leicht denken, was bei diesem[111] Gaukelspiel das arme simple Naturmädchen für eine alberne Rolle spielte. Man gaffte mich an, ich machte es wieder so, man lachte, ich weinte, und als man mich um die Ursache fragte, war meine Antwort, in meinem Lande wäre es gebräuchlich, die Verrükten aus Mitleid zu beweinen: – und doch küßte man mir für diese aufrichtige Grobheit die Hand. – Diese Begegnung gab mir Muth bei jedem andern lächerlichen Anlaß ohne Herzdrükken zu räsonniren. – Es geschah rundweg, schweizerisch, wie ich mir es dachte. – Einige Zofen rümpften zwar bisweilen die Nase darüber, aber die Männer hielten mich dafür ziemlich schadlos. Es ist doch immer wahr, daß es leichter ist mit Männern fortzukommen als mit Weibern, besonders wenn die leztern einmal anfangen ins Antike zu gehen, dann mischt sich die Schlange Eifersucht gleich ins Spiel. Auf einmal hatte nun dieser Hofbesuch ein Ende und wir reiseten der Pfarrei zu. Der Ort besteht aus einem großen Schloß, das Dorf ist eine halbe Stunde weit davon entfernt. – Diese Pfarrei hat sieben Kirchen unter sich, ist groß, und ihre Einkünften beträchtlich. Sieben Kapläne sind zur Besorgung der Pfarrei bezahlt. – Sie halten sich im Schloß auf, speisen mit uns und verfaullenzen ihre übrigen Stunden auf ihren einsamen Zimmern. Ich kann Dir die wenige Lebensart und den Mangel an Aufklärung dieser Klözze nicht hinlänglich beschreiben. Ihr Verstand ist verwildert, ihre Sitten sind pöbelhaft, ihre Andacht maschinenmäßig und ihr Umgang bis zum Entsezzen roh und bäurisch. Es scheint sogar, daß sie ihr Bischen auf den Schulen gelernten Studentenwiz vergessen haben, denn sie reden die ganze Tischzeit entweder gar nichts, oder doch alles mit einem solchen gravitätischen Tone, den sie sich gewis bei den Bauren müßen angewöhnt haben. Wenn mir so von ungefähr die Namen Gellert, Geßner u.s.w. entwischen, o dann rasen diese Bigotten vollends und nennen mich öffentlich[112] einen Freigeist. Ich habe die Wuth des Despotismus nirgends fürchterlicher gefunden, als sie hier in B** unter diesen Söhnen der Dummheit herrscht. Menschenscheu, ungesellig, mürrisch leben sie, alle von einander entfernt. – Einer von diesen Kaplänen ist dem Geize bis zum Entsezzen ergeben. Er verbirgt sein zusammengescharrtes Geld in alte Scherben von zerbrochnen Krügen, er trägt, so wie unsere Bedienten sagen, bei der Sommerhizze kein Hemde, um die Wäsche zu ersparen, und läuft im bloßen Schlafrok im Zimmer herum. Er rafft auf der Straße die kleinsten Stükchen Papier zusammen und schreibt seine Predigten darauf; – brennt kein Licht und hört fleißig Beicht, weil sie hier in B** bezahlt wird. – Er hält sich eine alte Rosinante von Pferd, um beim schlimmen Wetter auf die Pfarre und beim guten Wetter zu den Bäurinnen auf die Sammlung zu reiten. Sein Anzug besteht aus einem uralten Kapotrokke, aus einem schmuzzigen Häubchen, aus dem man Oehl sieden könnte, aus selbstgeflikten Schuhen, die Peitsche in der Hand und den Sporn im Kopf, macht er manchen solchen Ritt, und kömmt nie ohne Beute zurük. – Ich erstaunte, als ich diese Priester sahe, die unmöglich zur Ehrfurcht reizen können. Sie haben lezthin über mich und meine kleinen Spöttereien meinem Vetter, dem Pfarrer, heimlich in die Ohren geflüstert, als stünde ich mit meiner Lebhaftigkeit auf dem geraden Weg zur Hölle. – Wunderlich! – Als ob die Tugend nirgends, als in einem geschraubten Wesen stekken könnte. – Ich habe sie alle zusammen bei Tische für diesen Einfall büßen gemacht, ich nekte sie dafür, bis ich satt war, die Herren in Harnisch kamen, mürrisch aufstanden und brummend meine Gesellschaft verließen. – So einsam dieser Ort ist, so unterhält mich doch die drolligte Karakteristik dieser Herren mit Herzenslust. So viel also,[113] meine Liebe, für heute. Lebe wohl, und erinnere Dich deiner beßten


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 110-114.
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