XLVII. Brief

An Fanny

[114] Du mußt gewis auf deinem Landgut seyn, meine Freundin, daß Du mir meinen lezten Brief so lange unbeantwortet läßest; oder es halten Dich vielleicht deine vielen Geschäften ab. – Bei mir ist es nun ganz anders, ich habe dann und wann ein müßiges Stündchen, das ich Dir schenken kann, und meine Leidenschaften haben in meiner Seele nicht allein Plaz, sie müßen sich ergießen können. Wirklich liefert mir mein Schiksal hinlänglichen Stoff, um täglich davon schreiben zu können. Stell Dir vor, unsere Haushälterin bekam aus Eifersucht auf einmal den Raps, davon zu laufen. Nun so muß mich denn der Neid immer und ewig verfolgen? – Ich habe diesem Geschöpf nichts zu Leide gethan; es müßen Heimlichkeiten dahinter stekken, sonst hätte sie nicht den Muth gehabt, mich, als Anverwandte, um kleine Vorzüge zu beneiden, die mir der Herr des Hauses einräumte. Ich habe nun um ein anderes Mädchen geschrieben, der dieser Dienst sehr willkommen seyn wird. Es wird mir in jedem Betracht sehr lieb seyn, wenn diese neue Haushälterin bald eintrift. – Denn der Herr Pfarrer, mein Vetter, wird täglich stürmischer gegen mich, und sein Betragen schmerzt mich um so mehr, weil es das Zutrauen meines Oheims hintergeht. Ich wage es nicht, diesem Wohlthäter etwas von den zügellosen Absichten dieses Mannes zu melden, es möchte ihn zu sehr schmerzen. Ich studiere Tag und Nacht, um diesem Verführer mit Vernunft auszuweichen. Meine hülflose Lage,[114] entfernt von meinem Oheim, fodert durchaus eine gemäßigte Sprödigkeit und doch die strengste Rechtschaffenheit, wenn er es zu weit triebe. Unglük macht den Menschen überlegen, und nöthigt ihn zu handeln, wie es die Klugheit fodert. Leib und Seele zittern mir oft, wenn er mich zur Ausrede umsonst und um nichts auf sein Zimmer rufen läßt. Ich habe immer, eh ich dahin komme, eine Treppe zu steigen, auf welcher ein Kruzifix steht. Die Gefahr des drohenden Fehltritts empört sich in mir bei dem Anblikke dieses Bildes unsers Erlösers. – Mein unverdorbnes Herz wallt der religiösesten Empfindung entgegen, und noch immer flehte ich knieend vor diesem Bild um Muth, um Standhaftigkeit in diesen Versuchungen. Schamhaftigkeit und Ehrengefühl haben mich bis jezt noch nie verlassen, und ich kann es nicht begreifen, warum just ich, ohne schön zu seyn, doch die Sinnen reizen muß? – Just ich, muß durch solche Gefahren laufen, da mir die Natur reizbare Nerven und ein fühlendes Herz in den Busen gab. – Doch ist wahrlich der Kampf eines jungen Mädchens, die ihr Herz frei hat, kein so großer Triumph, wie ihn die Romanendichter schildern, denn der Widerstand gegen einen Ungeliebten streitet mit keiner Neigung, und die Verachtung gegen den Verführer erwekt in dem Mädchen hinlänglichen Ekkel, der es zu jenem halsstarrigen Eigensinn der Widerspenstigkeit bringt, den ein solches Mädchen mehr der Disharmonie der Gemüther als der Tugend zu verdanken hat. – Meine Sinnen habe ich so ziemlich durchs Denken in Ordnung gebracht, und wenn mich Liebe einstens nicht überrascht, dann glaube ich schwerlich, daß es andere Wege dahin bringen werden. Es ist übrigens ein trauriges Schiksal um dasjenige eines Mädchens, der die Natur keine Glüksgüter zuwarf. Armuth ist fast immer das Grab der Unschuld, und ein armes Mädchen muß äußerst aufmerksam die lokkenden Wünsche zum[115] Wohlleben aus ihrem Herzen zu verbannen suchen, wenn ihre Enthaltsamkeit nicht wanken soll. Gestern erhielt ich einen Brief von meiner lieben Schwester: Der Vormund hat sie ins Kloster gestekt, wo sie zwar ordentlich bedient wird, aber wenig Hoffnung zur Bildung ihres Geistes haben kann. Sie beschreibt mir mit sehr naiven Zügen die steife Erziehungsart der Nonnen, und bittet, ich möchte sie so bald als möglich aus diesem Hause der Sklaverei erretten. Bitter nagt der Gedanke der Unmöglichkeit an meinem Herzen. Mit der feurigsten Wollust würde ich es thun, wenn es in meiner Gewalt stünde. Wenn ich mich je einstens zu einer Heirath entschließe, geschieht es blos um den Schuz dieses Mädchens auszumachen. Nun, meine Beßte, schreibe mir bald, deine Briefe sind für mich alles, was man Entzükken in den Stunden der trüben Einsamkeit nennt. – Lebe wohl bis dorthin! Das wünscht Dir dein trautes


Malchen.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 114-116.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen
Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen