LVIII. Brief

An Fanny

[145] Ich konnte unmöglich Deine Antwort abwarten, denn heute habe ich Dir viele und wichtige Dinge zu sagen. Meine arme Schwester schreibt mir und ruft mich im Tone des äußersten Jammers um Hülfe an! – Der Vormund[145] ist im Begrif sie wider ihren Willen zur Nonne zu machen. Die übrigen Nonnen, die um sie herum sind, wenden alle Kunstgriffe an, dieses unschuldige Geschöpf zum Vortheil ihres Klosters zu erobern. – Sie schreibt, sie vermuthe ganz sicher, der Vormund habe mit den Nonnen einen gewissen Kontrakt geschlossen, kraft dessen der vierte Theil ihres Vermögens dem Vormund in Händen bliebe, der Ueberrest aber dem Kloster bestimmt wäre. Eigennuz muß doch dahinterstekken, sonst würde mein Vormund nicht so gewaltig auf die Einkleidung meiner Schwester dringen. – Sie lebt wirklich aus Zwang in den Tagen der Prüfung, und schaudert vor Furcht, wenn man sie zu einem Schwur zwingen sollte, wovon ihr Herz durchaus nichts wissen will. – Ewiger Gott! – Ich würde rasend, wenn ich sie müßte hinschleppen lassen, diese arme Waise, zum Altar, und schwören lassen, die schwärzeste Lüge! – Stürmen wollte ich den Altar, und laut ausrufen: Betrüger gebt mir sie zurük! Wie doch die lasterhaften Kreaturen aus Eigennuz um das Unglük einer Seele buhlen! Wie sie da stehen die Heuchlerinnen, mit Zukkerbrod, um das leichtgläubige Mädchen in das gräßliche Joch einer ewigen Gefangenschaft zu lokken! – Wie die Frazzenpriesterinnen der Tugend dem Kinde mit täuschender Wahrscheinlichkeit blos das wenige Gute des Klosterlebens schildern, und dabei das Uebermaß der Plagen verschweigen! – Wie sie die Laster der Welt herzählen, und dabei ihre eigene verbergen! – Nein! – Beim Allmächtigen! ich kann meine Schwester nicht einer so gränzenlosen Verzweiflung zueilen lassen! – Ich will, ich muß auf Rettung denken, und wenn es auch auf Kosten meiner eigenen Ruhe wäre! – Der Kopf möchte mir bersten, weil ich mir ihn durch unaufhörliches Projektiren beinahe verrükte. – Seit dieser Nachricht ist der Schlaf aus meinen Augen entflohen; so wie ich das Bett besteige, ist marterndes Nachsinnen[146] meine unzertrennliche Gesellschaft. – Den Anbruch jedes Tages erlebe ich mit offnen Augen. Matt von den Anstrengungen einer schlaflosen Nacht, sind meistens bittere Thränen mein erstes Frühstük. Fanny! – Fanny! – Was wird es noch werden mit deiner armen Amalie? – Wie werde ich mich herausreißen aus diesem neuen Auftritt meines unglükseligen Lebens? – Alles stürmt wieder mit neuen Kräften auf mich los! – Mein Oheim in K*** ist mit seinem Fürsten auf sechs Monate in entfernte Länder verreißt, und kömmt zu meiner Schwester Verderben zu spät zurük. – Er befahl mir in meinem jezigen Aufenthalt bis zu seiner Zurükkunft ruhig zu harren. Noch will er nicht zu meiner Verheirathung seine Einwilligung geben, und mein Freier dringt jezt mehr als jemals auf meine Entscheidung. Seine Klagen über Ungewisheit zerreißen mein Herz! – Es ist mir unmöglich, jemanden um meinetwillen leiden zu sehen! Er war vor einigen Tagen heimlich hier, und jammerte so fürchterlich, daß mein banges Herz darüber laut pochte! – Ich bin äußerst traurig über seinen Zustand; seine Leidenschaft erwekt in mir jene taumelnde Unruhe, die so oft an Liebe gränzt. – Ich fühle, daß ich ihm mehr, als blos gut bin.... Die Entfernung von andern Männern, sein eifriges Bestreben, sein weiches Herz, die Hofnung, daß ich durch diese Verbindung meine unglükliche Schwester retten könnte; o diese Hofnung ist es, die einen Wunsch in mir nährt, den ich mir kaum einzugestehen traue. – Ich will ihn zum Vertrauten meiner Leiden machen, diesen rechtschaffenen Mann, ich will ihn bitten, sich meiner Schwester anzunehmen, und er wird es thun. – Dann meine Liebe, dann gebe ich ihm zum Lohne meine Hand. – Frau von D*** schreibt mir, daß ich die Hofnung dieses jungen Mannes nicht länger martern sollte. Sie schreibt, daß er seit unserer lezten Zusammenkunft weit unglüklicher herum[147] irre als vorher. Daß er zum Spotte der Menschen, wie ein bleicher Schatten herumschleiche, und daß sie es mir auf mein Gewissen gäbe, wenn ich die Verbindung nur noch um einen Monat verzögerte. – Aber um Gotteswillen, die Frau muß nicht wissen, daß mein Oheim abwesend ist, und daß mir seine Befehle heilig sind! – Sie muß nicht wissen, daß ich keinen Schritt aus dem Kloster wagen darf, der meine Ehre, meinen guten Namen, und das Zutrauen meines Oheims entheiligen würde! – Warum will mich denn die Frau zu einem Verbrechen zwingen, um die schmachtende Leidenschaft eines Mannes zu befriedigen, der mein Mitleid, meine Liebe ohnehin schon hat? – Die Frau hat für diesen Mann viel gutes Herz; sie hat alles angewandt, meine Eitelkeit für ihn in Gährung zu bringen. Sie schilderte mir ihn so reizend, als es ihr nur möglich war. Sie schreibt, daß er wirklich wieder in Kriegsdienste getretten wäre, und daß er mir in der niedlichen Uniform gewis mehr als vorher gefallen würde. Das ist wohl eine böse Frau von D***! Nicht wahr, Fanny? –


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 145-148.
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