LXXVI. Brief

An Fanny

[198] Liebe, traute Freundin! – Muß mich doch gleich hinsezzen und Dir dein Leztes beantworten: – der Stoff, den Du darinn über den Stolz der Kaufmannsweiber berührst, verdient[198] wirklich meine Aufmerksamkeit. Deine Gedanken darüber sind richtig; ich selbst habe es auf meinen Reisen erfahren, wie trokken, ungesellig, hochmüthig und von oben herab einer Fremden in den meisten Handelsstädten begegnet wird. Und was mich noch dabei am empfindlichsten ärgerte, ist die niedrige Behandlung ihrer Dienerschaft. – Wenn ich so von ungefähr einen Blik in ein Komptoir that, was ich da für dummen Stolz erblikte! – Dieser unzeitige Despotismus der Kaufleute gegen ihre Bedienten schien mir ungerecht und verachtungswürdig. – – Jeder Untergebene gehört in der Menschheit in eine gewisse Klaße; aber daß die Kaufmannsbedienten nicht in die Livereiklaße gehören, ist doch gewiß Jedem begreiflich. – Kann der große vorurtheilsfreie Kaiser Joseph zu dem lezten seiner Beamten Sie sagen, so dünkt mich, wirds der Kaufmann gegen seine Bedienten auch thun können, wenn er anders nicht beim blosen Häringsfang ist erzogen worden. Der Kaufmann und sein Bedienter verrichten beide die nemlichen Geschäfte, und wenn der erstere den größten Nuzzen davon zieht, so sehe ich gar nicht ein, warum er dem leztern grob begegnen soll. – Der Unterschied zwischen dem Herrn und seinem Diener besteht nicht in der niedrigen, sklavischen Behandlung, wohl aber in der gegenseitigen Achtung, die sich beide verhältnismäßig und nach Masgabe des beiderseitigen Betragens schuldig sind. Geld und Glük giebt uns kein Recht, auf minder Glükliche verächtlich herabzusehen. Verdienste, Fleis und Talente sind unserer Achtung würdig, sie mögen wohnen in welcher Gegend der Erde sie wollen. Es muß einem Handlungsdiener von gutem Hause äußerst empfindlich seyn, wenn er mit den Livereibedienten per Er behandelt wird. Woher hat ein Kaufmann das Recht seinem Mitgehülfen so viel Uebergewicht fühlen zu lassen? – Vorurtheil ist es, vom Stolz erzeugtes Vorurtheil, das ohnehin harte Schiksal eines Untergebenen[199] nicht erleichtern zu wollen. – Wenn der Herr sein Ansehen auf keine gelindere Art, als durch dergleichen Herabsezzung zu behaupten weis, dann ist er mit seinen Untergebenen zu beklagen, weil der erstere die ihm gehörige Ehrerbietung sklavisch erzwingt, und der leztere aus Zwang blos mürrisch seine Pflichten erfüllt. – Der Kaufmannsstand sollte sich in unsern Gegenden so viel möglich von den Sitten des Pöbels zu unter scheiden suchen. – Es ist ein würdiger, nüzlicher Stand; Fleiß und gute Einrichtung sind seine ersten Pflichten; schmuzziger Eigennuz aber, Rohheit und Hochmuth erniedrigen ihn. – Es ist mir unbegreiflich, wie man unter diesem Stande, bei so häufigen Glüksgütern, doch so wenig Bildung des Herzens und der Sitten trift? – Der Fehler liegt in der Erziehung. Kaufmannssöhne werden in ihrer ersten Jugend als Ladenjungen zu Knechtsarbeiten verdammt. – Mancherlei niedrige Verrichtungen und schmuzzige Arbeiten sind ihre Beschäftigungen. In Gesellschaft von Knechten und Mägden vergessen sie ihr Herkommen, lernen eine pöbelhafte Lebensart, in welcher sie sich noch zu vervollkommnen suchen, weil es ihnen Pflicht scheint, sich in diese Gesellschaft schikken zu müssen. – Endlich geht in so einem armen Jungen alles Ehrengefühl verloren, erhabene Begriffe werden bei ihm erstikt, er lernt nicht denken, nicht empfinden, und lebt wie ein gutwilliges Lastthier auf seiner unwürdigen Laufbahn fort, bis ihn sein Schiksal zum Bedienten erhöht. – Da sizt er nun wieder vom Morgen bis in die späte Nacht am Schreibtisch wie angenagelt, krizzelt seinen troknen Schlendrian fort, und zittert wie ein Gefangener, wenn ihn sein roher, eigennüzziger Gebieter in einer augenbliklichen Erholung überrascht. So viele mit Vorurtheil bestrikte Herren nehmen sich sogar die Freiheit heraus ihren Bedienten nüzliche Bücher zu verbieten, und schränken junge Leute bei müßigen Stunden zuchthausmäßig ein. O der steifen Dummheit, die ihrem Nebenmenschen[200] jeden Weg zur Weltkenntniß und zur Bildung abschneidet! Wie kann so ein junger Mensch Geist und Denkkraft erhalten? – Wie kann er ein taugliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft werden? Wie kann er als Herr einst vernünftiger gegen seine Untergebenen handeln, wenn er selbst so elend ist behandelt worden? – Pöbelhafte Sitten, Unempfindlichkeit, Grobheit, Vorurtheil müßen bei ihm ewig hervorscheinen, weil es die ersten Eindrükke sind, die er, als sogenannter Hundsjunge, in seiner frühen Jugend einsog. – Väter und Mütter, laßt euere Kinder Zuschauer von allen Beschäftigungen werden, die zu diesem Stande gehören; aber hütet euch wohl, sie außer einem Nothfall selbst an niedrige Arbeiten zu gewöhnen, sie kommen dadurch mit dem Pöbel in Gemeinschaft. – Ladenkehren, Einheizen, Kinder herumschleppen, Betten machen, u.s.w. sind lauter unwürdige Beschäftigungen, die ihr Herz und ihre Bildung verunedeln. – Bald schreib ich Dir wieder mit eben dem Herzen, das nur Dir gehöret.


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 198-201.
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