LXXIX. Brief

An Fanny

[209] Ja wohl, meine einzige, vortreflichste, gutherzigste Freundin! Ja wohl, scheint mir Alles in meiner Lage trostlos! – Nicht taub gegen deine Bitte, nicht taub gegen die Vernunft, aber unfähig zu jeder Unternehmung, schleppe ich meine Geschikke von Gedanke zu Gedanke, und kann keinen finden der mich beruhigt. – Ob ich der Mishandlungen meines Manns nicht müde bin? – O meine Beßte! – Mein schwacher Körper ist es schon lange, aber mein Herz ist es nicht. – Laß es immer an dem Pflichtvergessenen hängen, dieses zu gute Herz;[209] mag er es bis zum lezten Schlage peinigen, so bleibt ihm die Strafe und mir die Belohnung dort oben übrig! Und wenn denn doch Schandbuben so leicht aus teuflischem Leichtsinn das Herz eines guten Weibes zerfleischen können, so muß es unter unserm Geschlecht auch Weiber geben, die es bei ihnen so lang als möglich auszuhalten wissen. Wo bliebe sonst das sanfte, gutherzige Gefühl der Natur, das blos dem Weibe zur Zierde von dieser gütigen Führerin zugetheilt wurde? – Mein Gatte ist nun auf ewig für mich verloren! aber werde ich glüklicher seyn, wenn die Entfernung von ihm an meiner Seele noch schröklicher nagt? – Er hat mich arm gemacht, in Schande gestürzt, aber bin ich denn bei seiner Abwesenheit reicher? – Ha! – Meine Fanny, ich will Dir folgen, wenn Du mir die Seelenruhe wieder geben willst, deren Verlust mich sonst martern würde! – Meine Standhaftigkeit wäre Sünde, sagst Du? – O, dann ist seine Behandlung teuflisch und mein Nachgeben himmlisch! – Doch pfui! was meine Eigenliebe mir da wieder vorgaukelt! – O, ich schäme mich! – Das zu thun, wozu wir verbunden sind, verdient kein Lob, sonst verliert es seinen Werth. – Aber wahrlich, wahrlich, Du hast Recht, liebenswürdige Denkerin, ich bin ein schwaches, schwaches Weib, die gutwillig ihrem Tod zueilt! Bei Gott! das Weib ist, wie es alle Menschenkenner sagen – entweder Engel oder Teufel. – Und nun auch zum lezten Mal, meine Freundin: laß ab von deiner Foderung, ich kann, ich darf ihn nicht verlaßen! Was würde die Welt, was würden meine Feinde sagen? Die Richter meinst Du? – O, die Richter unserer Religion sind blos Maschinen, die vom Vorurtheil oder vom Eigennuz in Bewegung gebracht werden! – Soll ich mich ihren fühllosen Untersuchungen und wenigen Einsichten Preis geben? – Mein Schmerz würde mich vor ihrem Angesichte stumm machen, da indessen der kaltblütige, beredtere Ehemann seine Sache unter dem[210] Schuz der Bigotterie mit Nachdruk vertheidigen würde. Sollte ich unverschämt genug seyn können, ihm vor Andern seine Fehler vorzurükken, und mir selbst durch seine Galle vergrößerte andichten laßen? Nur gemeine Weiber können in den Gerichtssaal hinstehen und ihre Männer mit sich öffentlich beschimpfen! – Und wenn sie dann auch zu meinem Vortheil vollendet würde diese Scheidung, was würde es mir bei meiner Religion nüzzen? Bin ich hernach freier? – Kann ich meine Hand einem Andern geben, die ewig durch Kirchengesezze gefesselt bleiben muß! – O des gräßlichen Gedankens, der mir jezt zentnerschwer aufs Herz fällt! – Hinstürzen möchte ich zu den Füßen eines Josephs, und seine Weisheit, sein Menschengefühl mit aufgehobnen Händen anflehen! – Dieser große Monarch, der die bigottische Tirannei von dieser Art auch im Einzelnen untersucht, der ohne Geld, ohne Nebenwege gedrängten Eheleuten zu Hülfe eilt. – – Ha! – Meine Fanny! Das war blos ein kleiner vorübereilender Trost, der mir in meiner kummervollen Lage nichts hilft. – Zaghaft ist jeder Unglükliche, und selten wagt es ein Weib sich dem Throne eines Fürsten zu nahen, wenn es auf Unkosten eines Gatten gehen soll. Und nun sage selbst, meine Freundin, was bleibt mir übrig? Soll ich mich an geistliche Richter wenden, die eine unglükliche Ehe kaum dem Namen nach kennen? – Soll ich diesen harten ans Zölibat gewöhnten Menschen meine Leiden vorjammern, die nur zu oft fremdes Elend gar nicht einmal begreifen. – Angejocht an ihren geistlichen Stand, tragen sie zu wenig Kenntnis der Welt in ihrem umnebelten Kopfe, um sich hinlänglich in die Lage einer unglüklichen Ehe hinein denken zu können. Und wenn denn auch unter diesen Richtern zuweilen ein denkender Kopf ist, der von keinem Vorurtheil sein Gefühl erstikken läßt, was würde mir dieser einzelne nüzzen, da hingegen so viele andere zum Unheil der Menschheit ihre eingeführten grausamen Rechte[211] behaupten müßen! O! für mich ist in dieser Welt keine menschliche Hülfe mehr! Ich bin an Bande gefesselt, die Menschendummheit so enge, so unauflöslich bei meiner Religion zusammenknüpfen! – Es ist schröklich, schröklich, die ganze Zeit seines Lebens lebendig todt ans Laster verheirathet seyn zu mußen; aber doch ist es nun einmal so, und der gütige, gerechte Gott im Himmel gebe mir Stärke, das fürchterliche Verhängnis zu dulden, das mir seine Geschöpfe auflegten! Glaube mir, Fanny, wenn unsere Geistlichen sich begatten dürften, so würde hie oder dort einer fühlen, wie übel ausgeschlagene Ehen das Leben zur Hölle machen können. Ha! – Wie würden sie eilen diese nun so kurzsichtigen Schwärmer, um ein Band zu lösen, unter dessen Druk auch sie schmachten müßten. – Nun aber leben diese vom Vorurtheil selbst gefolterte Menschen schwer – schwer ihrer erzwungenen Enthaltsamkeit nach, und befriedigen ihre Triebe im Stillen, mehr oder weniger, nach der Anlage ihres Temperaments und vermöge ihrer Grundsäzze. – Mich deucht, daß nur durch langes – langes Nachdenken und durch strenge Beobachtung ihrer selbst in ihnen können Triebe erstikt werden, denen so viele Tausend unterliegen. Der Körper wird beim bequemen Leben, bei nahrhaften Speisen so leicht Herr über die Seele, wenn er nicht durch äußerste Aufmerksamkeit fleißig bewacht wird. So viel gestund mir lezthin ein helldenkender, braver junger Geistlicher selbst. – Doch, liebe Fanny, wo gerathe ich hin? ich moralisire über Andere und vergesse mein eigenes Elend. – Vergessen? – O gewis nicht – gewis nicht! – Meine theilnehmende Freundin! es drükt zu schwer in dem Herzen deiner armen, armen


Amalie.[212]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 209-213.
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