CIV. Brief

An Fanny

[83] Denke nur, meine Liebe, mein Vetter lies mir nicht eher Ruhe, bis ich mich entschloß, mit ihm in Mannskleidern öffentliche Lusthäuser zu besuchen; – er wollte mir durchaus die Wahrheit seines Sazzes beweisen; – und er behauptete ihn mit Recht; denn wir fanden in diesen öffentlichen Lusthäusern mehr Ausländer, als Einheimische. – Da es eines Abends anfieng dunkel zu werden, führte er mich in eines dieser Häuser. Eine sehr dunkle Treppe leitete uns in ein Vorzimmer, worinnen ein altes Weib saß, die laut betete. – Sie lies uns gerade so lange stehen, bis sie noch einige Korallen ihres Rosenkranzes hin und her geschoben hatte; dann schlug sie das Kreuz über die Brust, gieng ohne ein Wort zu reden ins Nebenzimmer, und eilte bald wieder mit der Antwort zurük: »Daß ihre Tochter bereit wäre, uns zu empfangen.« – Gerechter Himmel! schon wieder eine solche heuchlerische Satans-Christin, die ihre lasterhafte Tochter unter frommer Lüge verkuppelt! – So wollte ich eben laut seufzen, als wir gerade in das Zimmer der Buhlerin eintraten. – Die Dirne empfieng uns mit einer frechen, zuversichtlichen Miene, und war schon so in ihrer schändlichen Kunst erfahren, daß sie mein Geschlecht auf den ersten Blik entdekte. – »Mit Ihnen, junger Herr, ist wohl[83] nicht viel zu unternehmen; und du alter Kamerad, (redete sie uns an) du bist der Freude auch schon abgestorben; also muß ich wohl auf andere Mittel denken, euch zu unterhalten! –« Dann warf sie eiligst ihre schlampigten Kleider vom Leibe, und machte die schändlichsten wollüstigen Stellungen. – Das Blut stieg mir wie Feuer ins Gesicht; ich wandte meine Blikke von dieser Schandmezze weg; – sie merkte meine Verlegenheit, und spottete laut über die blöde Schamhaftigkeit der Teutschen. – Gott! welcher Abscheu durchschauderte meine Seele! – Thränen des Entsezzens rollten über meine Wangen! – Die ganze Natur empörte sich in mir! – Ich griff hastig nach meiner Börse, und warf dieser elenden Kreatur etwas Geld hin, wornach sie heißhungerig schnappte. – Mein Vetter konnte mich kaum mehr trösten, so schröklich hatte mich dieser gräßliche Auftritt verstimmt. – Gebeugt, schwermüthig, durchirrten wir einige Straßen; als uns plözlich das laute Weinen einer weiblichen Stimme aufmerksam machte. – Der Schall kam aus einem Stübchen, dessen Fenster nicht hoch von der Erde waren; die ganze Wohnung hatte das Ansehen eines Bordels, worinnen das Laster sich durch Armuth selbst zu strafen schien. Die Neugierde trieb uns hinein; wir fanden den Hauswirth im heftigsten Streite mit einem jungen Mädchen, das verzweiflungsvoll die Hände rang! – Als dieser Kerl uns erblikte, stimmte er augenbliklich seinen Ton um, kneipte das betrübte Mädchen in die Wangen, wünschte uns kriechend gute Unterhaltung, und verlies das Zimmer. – Das arme Geschöpf warf sich dann jammernd zu unsern Füßen, bat um Barmherzigkeit, um Schonung! – So sehr auch diese Art Mädchen die Gewohnheit an sich haben, ganze Romanen zu erdichten, um ihren Lebenswandel zu entschuldigen, so fand ich doch bei dieser eine geheime Stimme der Wahrheit, die mein Herz zum warmen Mitleid rührte. –[84] Mein Gott! – fuhr mir in teutscher Sprache über die Zunge, – als die Arme mit feurigem Entzükken laut ausrief: Gott sey Dank! Sie sind ein Teutscher; Sie werden mich retten! Mit kurzen Worten erzählte sie mir nun ihre Geschichte. – Sie ist eine Kaufmannstochter aus A....; ein Böswicht entführte sie, und überlies sie dann in einem fremden Lande dem Mangel. – Sie gerieth durch Kuppelei in die Hände dieses Wirths, dessen Eigennuz sie mit ihrem noch ungewöhnten Körper nicht hinlänglich befriedigte, und der sie eben deswegen schon seit einiger Zeit tirannisch behandelte. Sie rang in dieser Gefangenschaft des Lasters schon lange mit der äußersten Verzweiflung. – Ihr Flehen rührte keinen Wollüstling, keiner schonte ihrer Tugend, alle genossen die Sträubende mit teuflischer Lust, und achteten nicht der heissen Thränen, die auf ihre gewaltthätige Hände brannten! – Großer Weltbeherrscher! – warum zögerte deine Strafe über diese Schänder der Menschheit? – Warum gefiel es der unendlichen Barmherzigkeit nicht, sie augenbliklich auszurotten? – O menschliches Gefühl! wo sind deine Rechte? – Wo ist deine Stimme? – Kommen Sie, lieber Vetter, ich kann es nicht mehr aushalten! – Ich küßte die Bedaurungswürdige auf die Stirn – versprach ihr Hülfe, – empfahl ihr Verschwiegenheit – und eilte nach Hause. – Daß ich dann noch in der nemlichen Stunde an ihre Eltern schrieb, wirst Du gewis von meinem Herzen hoffen, dessen Empfindungen Du so genau kennst. – Lebe wohl, meine Theuerste! – Lebe wohl! –


Amalie.[85]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 83-86.
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