CXX. Brief

An Fanny

[130] Noch ehe ich P... verlies, konnte ich mich nicht enthalten, folgendes Briefchen an dortigen Direktor zu schreiben. –


Mein Herr!


»So unverschämt und pöbelhaft Sie und Ihre Rotte mich auch immer behandelten, so kann ich doch den hiesigen Ort nicht verlassen, ohne noch ein Paar Wörtchen mit Ihnen zu sprechen. Glauben Sie sicher, Sie hatten es mit keiner Hüttenspielerin zu thun, bei der Sie es wagen durften, ihren lächerlichen Hochmuth blikken zu lassen. Zu Ihrem Stolz stünde bessere Erziehung recht gut; dann würden Sie vielleicht Ihre lüderlichen Untergebenen in den Schranken der Ehrbarkeit zu erhalten wissen, womit Sie fremden Leuten begegnen sollten. Bei den kleinsten Schauspielergesellschaften findet man kaum ein solches boshaftes,[130] muthwilliges Zigeunergesindel, wie das, wovon Sie, mein Herr, das Oberhaupt sind. – Gott möge nie wieder eine gute Seele unter Ihre ausgelassene Bande gerathen lassen! Verzweiflung würde sonst bei so einer schandvollen Behandlung das Loos einer Jeden seyn, die weniger Selbstgefühl im Busen trägt, als ich. – Sie, Herr Direktor, nähren ein Häufchen Lasterhafte, deren gebrandmarkte Herzen einstens zu ihrer Schande ganz aufgedekt werden müßen. – Bühnen, wie Sie eine unterhalten, sind die wahre heimliche Pest in einem Staat, die unter dem Vorwand der Sittenverbesserung jede Moral untergraben. – Blos um in Zukunft einer andern ärmern reisenden Schauspielerin den bei andern Theatern gewöhnlichen Debut auch bei Ihrer Bühne zu eröffnen, habe ich an höhern Orten mit Gewalt auf eine Rolle gedrungen. – Theilen Sie mein mir angehöriges Geschenk unter die Armen aus, damit sie den Himmel um Verbesserung Ihres Herzens anflehen mögen; – überdies schenke ich Ihnen noch den Ersaz der Ausgaben, die mir die Anschaffung des zu meiner gespielten Rolle nöthigen Puzzes verursachte, und die ich über mich zu nehmen gezwungen ward, weil sie mir aus Neid von Ihrer Favoritin versagt wurde. – Ich weis recht gut, daß sie sogar Leute anstiftete, um mich zum Gespötte des Publikums zu einer widersinnigen Kleidung zu bereden. – Aber sowohl diese Kabale, als so viele andere sinnreiche Streiche prellten an mir ab. – Wäre ich Mann, so würde ich für alle die äußerst gallsüchtigen Beleidigungen auf eine andere Art Genugthuung fodern; aber so begnüge ich mich mit der Verachtung, die Sie und Ihre Anhänger verdienen, und die Ihnen hiemit in vollem Mase zusichert«


Amalie *****
[131]

So bald ich dieses Briefchen dem Direktor zugeschikt hatte, so reiste ich ab. – – –

Wenn Du die Gegenden in Ungarn kennst, so wirst Du leicht begreifen können, wie langweilig meine Reise war. – Eine sehr schlechte Reisegesellschaft, üble Bewirthungen und die bangste Furcht, als ich über die unermeßlichen entvölkerten Haiden fahren mußte, wurden mir zu Theil. – Wir trafen in den Wirthshäusern meistens Kerls an, die alle Räubern ähnlich sahen. – Menschen, die sich wie das rohe Vieh in ihrem Schafpelz im Schnee hinlagern, und nur bei der Nacht in ihre Hütten kriechen, die alle tief in die Erde gebaut sind. Unter heftiger Kälte und andern Unbequemlichkeiten kam ich endlich in Temeswar an. Herr Seipp nebst seinem Weibchen empfiengen mich sehr gut. – Sie ist ein Fräulein von K.... aus P... und verräth viel Erziehung; – er, ein vernünftiger, einsichtsvoller, auf Ehre haltender Mann, ein braver Schauspieler, hält streng auf gute Ordnung, versteht das Theaterwesen vollkommen, ist selbst Dichter und der Erfinder der beßten Einrichtung, die ich noch jemals bei einem Theater antraf. – Einige lüderliche Schauspieler wollen ihm keine Gerechtigkeit wiederfahren lassen, weil er ihre Sitten sowohl, als ihre elenden Fähigkeiten zu verbessern suchte. – Ich kann Dir aber auf Ehre versichern, daß er und sie meine völlige Hochachtung gewonnen haben. – Sie ist ein gutes wirthschaftliches Weibchen – liebt ihren Mann – hat Theatertalent und Kopf. Kurz, beide sind ein wahres Muster moralischer Sitten, woran sich so viele andere spiegeln könnten; sie söhnen mich wieder ganz mit der Bühne aus. – Gespielt habe ich hier noch nicht, weil die Gesellschaft gerade auf dem Punkt steht, nach Herrmannstadt abzureisen. So bald wir dorten sind, beschreibe ich Dir unsere Reise. – Schreib Du auch bald wieder

Deiner beßten Amalie.[132]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 130-133.
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