CXXIV. Brief

An Amalie

[138] Theuerste! –


Endlich hat unser Kummer ein Ende, und wir wissen, daß Du gut versorgt bist. Karl war entzükt über diese Nachricht; daß ich es auch bin, das weißt Du ohnehin. – Wir beide haben ein Projekt zur Sitten-Verbesserung der Bühnen entworfen, und theilen es Dir zur gütigen Einsicht mit.

Unser große Kaiser Joseph hat über alle Gegenstände in seinen Ländern gute moralische Anstalten getroffen, und[138] wir hoffen, daß er auch noch auf die Reinigung der Bühnen kommen wird, wenn es ein Patriot einmal wagt ihm den wahren Zustand derselben zu schildern. – Bis izt streifen noch immer schwarmweis kleine Schauspieler- nicht doch – Komödianten-Gesellschaften dem Bürger zur Last und den Sitten zur Schande in unsern Ländern herum; – führen das abscheulichste Leben, verbreiten Zoten, sind der Zufluchtsort so vieler Tagdiebe, Herumstreicher, verjagter Friseurs, lüderlicher Studenten, fauler Handwerkspursche, verloffner Dienstmädchen, u.s.w.

Erstens ist ihre Aufführung ärgerlich, und verbreitet, bestärkt das Vorurtheil über besser gesittete Schauspieler, benimmt dem Publikum den Glauben an jede Moral, die auf gesittetern Bühnen vorgetragen wird, weil die Menschen daran gewöhnt werden, zu glauben, daß dort wie da – der Fuchs blos den Gänsen predigt. –

Zweitens führt diese hungerige Komödianten-Waare schandlose, ärgerliche, sündliche Frazzen auf, und verwildert dadurch die Sitten des Pöbels noch mehr, der ohnehin schon zügellos genug ist. –

Drittens kommen sie durch ihre Schwelgerei in Schulden, betrügen den Bürger, verführen seine Söhne und Töchter, fahren in allen Bierschenken herum, nähren im gemeinen Volk Aberglauben und Vorurtheil, verleiten es zu Abentheuern, Schazgräbereien, Taschenspielereien, und dergleichen; durch ihre Ausschweifungen pflanzen sie also auf alle Schauspieler den schmuzzigen Begriff fort, den man ehedessen von den öffentlichen Possenreissern und Marktschreiern hatte. – Zur Schande der Schauspielkunst verderben sie das leichtgläubige Herz des Bürgers, und würden ihrem Landesherrn unter der Muskete gewis bessere Dienste leisten.

Sobald der Monarch überzeugt ist, daß eine gesittete Bühne zur Aufklärung beiträgt, so wird er auch bei großen und kleinen[139] Bühnen jeden Schein auszurotten suchen, der diesem moralischen Endzwek wider spricht. – Bei der übersezten Menge von kleinen fliegenden Gesellschaften sollte nothwendiger Weise Musterung gehalten werden, damit es dem fähigern Schauspieler nicht an Versorgung fehlte, die diese Herumstreicher ihm mit einer geringern Besoldung hier oder da vor dem Munde wegschnappen. Zu viele Gesellschaften in einem Lande richten einander selbst zu Grunde, weil das Publikum sie nicht alle zu nähren vermag. – Nur in den ansehnlichsten Städten jeder Provinz sollte eine gute Schauspielergesellschaft geduldet werden, auf deren sittliche Aufführung die Obrigkeit ein wachsames Auge haben sollte – und den übrigen kleinen herumziehenden Gesellschaften sollte bei Strafe das Land verboten werden. Die Direktoren sollten verbunden seyn, miteinander alle Jahre ihren Ort zu verwechseln, damit jede Provinzstadt um ihr Geld Abwechslungen zu sehen bekäme. –

In der Hauptstadt Wien sollte von Professoren oder sonst unpartheiischen Theaterkennern eine Art Prüfungsschule errichtet werden, wo jeder brodsuchende Schauspieler seine Probe ablegen müßte; – wo man die Fähigkeiten und Lebensart der Schauspieler einige Zeit prüfte, und sie dann mit einem guten Zeugniße einem Provinz-Theater zuschikken könnte, dessen Direktor verbunden seyn müßte sie anzunehmen, und nach dem Masstab ihrer Talenten zu besolden. – Viele hundert Halunken beiderlei Geschlechts würden diese Prüfung scheuen, und weniger ihre Zuflucht zum Theater nehmen. – Ein würdiger Schauspieler hätte dann nicht mehr Ursache aus Unterdrükkung und Kabale am Bettelstab herumzuirren; das Publikum würde besser bedient; die Sitten dieser Leute würden nach und nach reiner; der gute Endzwek der Schaubühne erfüllt, und die Herren Direktoren vor so vielen Bankrotten gesichert, die ihnen meistens durch die Kabale dieses herum schwärmenden Volks zugezogen werden. – Nur müßten[140] die Aufseher der Prüfungsschule nicht aus Schauspielern bestehen, sonst liefe sicher Partheilichkeit mit unter; denn der größte Schauspieler trägt immer heimlichen Neid im Busen, und kann in einer solchen Sache nie als Richter dienen. Ueberhaupt sollten alle Schauspieler strenger als andere Bürger in ihrem Lebenswandel gehalten werden, um das Vorurtheil auszurotten; der Moral, die sie predigen, Ehre zu machen, um durch ihr so öffentliches Lasterleben unter dem Volk nicht so viel unverantwortliches Aergernis zu erregen. –

Was hältst Du von meinem Gedanken? – Ich habe ihn nur so obenhin entworfen! – Möchte ihn ein Menschenfreund besser überdenken – ausarbeiten – und dem großen Kaiser Joseph vorlegen, wie glüklich wollte ich mich schäzzen! – Die Einrichtungen deines jezzigen Direktors gefallen mir sehr wohl. – Es muß ein würdiger Mann seyn! – Der Himmel segne ihn und seine Familie! – Schreibe mir mehr von seiner guten Führung; ich höre es äußerst gerne. – Karl und ich wollen Dich dann recht herzlich dafür küßen – wann wir Dich einst wiedersehen. – Das verspricht Dir

Deine Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 138-141.
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