CXXVIII. Brief

An Fanny

[148] Meine Liebste! –


Wirklich hat die Wiener-Luft meine Gesundheit völlig wieder hergestellt. Ich eile, um Dir diese gute Nachricht zu melden: Als ich hier anlangte, nahm ich mir fest vor, Niemanden meinen Schauspieler-Stand zu entdekken. Der Zufall leitete mich bei meiner Ankunft zu einer alten Obrists-Wittwe, bei der ich auf einen Monat ein Zimmer zu miethen suchte: –

Diese alte Dame mußte sich wegen eingeschränkter Pension mit Vermiethung solcher Zimmer abgeben; – war aber ein Weib, das gute Erziehung genossen hatte. – Uebrigens soll es außer ihrer Gewohnheit gewesen seyn, je ein junges Frauenzimmer in ihr Haus zu nehmen, wie man mich versichert hat. – Sie mag ihre Gründe gehabt haben, die vermuthlich darinn bestunden, damit kein Frauenzimmer von schlechter Lebensart ihr Haus in übeln Ruf bringen möchte. – Ich weis nicht, war es meine offene, glükliche Gesichtsbildung, oder was sonst; genug, die Dame liebte mich beim ersten Anblik, und nahm mich ohne das geringste Vorurtheil in ihr Haus. – Sie drang in mich, um etwas genauer mit meinem Schiksal bekannt zu werden, ich hielt an mich so lang es mir nöthig schien, bis ich ihr endlich meinen Schauspieler-Stand offenherzig eingestand, und sie mir versprach, ihn vor Jedermann geheim zu halten. – Aber auch nur[148] einige Wochen hielt sie Wort, und in weniger Zeit wurde der Direktor vom hiesigen Kärnthnerthor-Theater Herr über ihr Geheimnis. – Ihm war um eine gute Schauspielerin zu thun, weil er eben im Begriffe stand mit einer neuen Gesellschaft seine Bühne zu eröffnen, und er ihrer sehr bedurfte. – Die Dame und er wandten alle Schmeicheleien an, um mich zu einem Debut zu bereden. Man versprach mir glänzende Besoldung, und alle mögliche Vorzüge. – Kurz, die zwei Leutchen drangen so lange in mich, bis ich endlich nachgab. – Da ich aber den Gang der Wienerischen Kabale kannte, so handelte ich vorsichtig. –

Hier ist es nicht gebräuchlich den Namen der Schauspieler auf den Anschlagzettel zu sezzen. – Ich benuzte dies, und der Herr Direktor G..... durfte weder meinen Namen, noch weniger die Ankündigung meines Debuts darauf bekannt machen. Theils wollte ich das Publikum mit meinem Bischen Fleiß überraschen, theils mochte ich mich keinem Vorurtheil Preis geben, das jeder von einer unbekannten Schauspielerin zum voraus hegt. – Der Tag meines Debuts wurde festgesezt, die Stunde rükte heran; schon war der erste Aufzug des Schauspiels geendigt, und einige Mitspielende ausgezischt worden, als ich noch in tausendfacher Angst hinter den Koulissen harrte, bis die Reihe zu spielen an mich käme. – Meine Rolle war kurz, aber in ihrem innern Werth eben so empfehlend, als mein äußerlicher Anzug. – Ich stellte die Gattin eines Helden vor, die aus Leidenschaft für ihren Mann in Mannskleidern bis ins Lager drang, um ihn aus der Gefangenschaft zu retten. – Das Feuer, womit ich aus der Koulisse herausstürzen mußte, verjagte auf einmal alle meine Furcht, und ich fühlte mich in dem Augenblik ganz das, was ich vorstellte. – Noch war mein erster Dialog nicht zu Ende, als mir Seine Königl. Hoheit Prinz Maximilian ein lautes Bravo zuriefen, dem[149] das ganze Publikum folgte, ohne daß eine Seele darunter meinen Namen wußte. – Wenn je ein Beifall unpartheiisch war, so war es gewis dieser. – Wäre der Direktor ein besserer Wirth, so würde es mir bei dieser Gesellschaft gefallen; der Mann hat Kenntnisse, und schäzt die Kunst. –

Was mit mir ferner geschieht, sollst Du bald hören von deiner Freundin. –

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 148-150.
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