CXXIX. Brief

An Amalie

[150] Es scheint, meine Liebe, daß das Unglük auch auf mich loszustürmen anfängt! – Kaum erhielt ich die Nachricht von deiner Krankheit, so wurde auch mein Karl mit einem hizzigen Fieber überfallen. – Der arme Junge war dem Tode und ich der Verzweiflung nahe! – Jesus Christus! – wie ich da mit der äußersten Trostlosigkeit rang, als die Aerzte mir alle Hofnung seiner Herstellung absprachen! – Hätte ich ihn verloren, den Mann meines Herzens, ein freudenloses, elendes, jammervolles Leben würde dann meiner gewartet haben! – Ich wäre in der häuslichen Glükseligkeit an jedes Andern Seite zur ärmsten Bettlerin geworden! – Denn außer meinem Karl ist für mich unter den Menschen keine Harmonie mehr; – ob uns gleich das Schiksal noch nicht ganz vereinigt hat, so sind doch die wenigen Stunden, die wir izt schon mit einander verlebten, ein Vorgeschmak des Himmels, der uns einstens bei näherer Verbindung erwartet! – O! diese Bilder der seligsten Zukunft wären dann durch seinen Verlust alle auf einmal zusammengestürzt! – Ha! – Ich würde es nicht überlebt haben! –

Allgütiger! dir sey ewiger, inniger Dank gesagt, daß du[150] mir ihn wieder schenktest! – O, was der gute Junge in seiner Krankheit für Engels-Geduld zeigte! – Wie ich an seinem Krankenbette mit nassen Augen ganze Nächte durch wachte und alle seine Schmerzen doppelt fühlte! – Bei einem solchen Anlaß kann der Werth eines guten Herzens am beßten erkannt werden. – Da ist der Zeitpunkt, wo eine Geliebte durch tausend kleine Gefälligkeiten ihre Gefühle an Tag geben kann. – Selbst mein Karl sagte während seiner Krankheit, daß die geringste Wohlthat in solchen Fällen dem Kranken Himmels-Wonne wäre, die er von der gutherzigen Hand einer Geliebten erhielte. – Noch ist er sehr schwach, der Gute, aber ganz außer aller Gefahr, und grüßt Dich herzlich. –

Seippens Misgeschik, das Dir einen so guten Direktor entriß, hat uns Alle sehr gebeugt. –

Gott! Wie sehr wünsche ich, daß Du des unbeständigen Theater-Lebens bald satt seyn und doch einmal mit Ernst auf eine andere Versorgung denken mögest. – Das beßte Theater-Schiksal ist doch fast überall mit Galle und Gift untermengt, die der Neid auf eine oder andere Art einmischt. – Du wirst vielleicht keinen Seipp mehr finden; und doch, meine Amalie, und doch, ungeachtet der unerträglichsten Beschwerlichkeiten, die dieses Leben mit sich führt, nährst Du noch in deinem Herzen einen leidenschaftlichen Hang dafür? – Laß ab, meine Freundin, von diesen falschen Freuden des Beifalls, die meistens ihr Ende erreichen, so wie der Vorhang fällt. – Wäge das Bischen Schmeichelei mit den vielen Kabalen ab, die Dir bei jedem andern Theater drohen, und es bleibt Dir gewis nichts übrig, als ein blutendes Herz, das die Bosheit zerfleischte! – Die Theater-Sitten sind noch lange nicht das, was sie seyn sollten. – Weh dem, der mit einem fühlenden Herzen das Opfer dieser verdorbenen Sitten wird! –[151]

O, meine Freundin! wenn Du deine Leidenschaft für die Bühne nach und nach zu unterdrükken trachtetest; wenn Du irgendwo einen Freund suchtest, der Dir ein ruhigeres, zufriedeneres Leben anböte, der Dich diesem Herumirren entzöge! wie glüklich wärest Du nicht? – Du bist zu empfindsam, um ferner die Mishandlungen, Ränke und Kabalen zu ertragen. – Suche doch, meine Liebe, deinem Schiksal bald eine andere Wendung zu geben, und Du wirst um vieles beruhigen

Deine beßte Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 150-152.
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