CXXXVI. Brief

An Amalie

[169] Ha! – meine Freundin! – Dein Kummer ist ein Schatten gegen dem meinigen! – Mein Karl! – O mein Karl ist gewis auf ewig für mich verloren! – Ein niederträchtiger Ehrenschänder hat es in seiner Gegenwart gewagt, meinen guten Namen anzutasten! – Du kennst seine feurige Liebe für mich; – die Hizze seines Temperaments riß ihn hin, und ein unglüklicher Zweikampf machte ihn zum mörderischen Flüchtling! – Gerechter Gott! – Wie der arme Gebeugte beim Abschiede mit zitternder Angst an meinen Lippen hieng! – Wie dann meine Thränen ihn fast erstikten! – Er wollte nicht weichen von meinem Busen, hätte ihn mein Bruder nicht mit Gewalt weggerissen! –

O Ehre, wie barbarisch sind deine Begriffe! – Du mußt deine Vertheidigung im Blute deines Nächsten suchen! – Ist denn ein Verläumder, ein Ehrenschänder, ein schlechter Kerl noch so viel werth, um das Leben eines ehrlichen Mannes, die Ruhe einer Geliebten seinetwillen aufs Spiel zu sezzen? – Sollte nicht die Obrigkeit mit der strengsten Strafe dergleichen Ehrendieben drohen? – Warum züchtigt man böse Mäuler nicht durch öffentliche Schande? – Der ruhige Biedermann hätte dann nicht nöthig sich mit solchen Ehrenbanditen zu beschmuzzen. – Und gerade meinem armen unschuldigen Karl mußte so ein elender Bube aufstossen? – Er, mit seinem edeln, gefühlvollen Herzen, wurde gezwungen Blut zu vergießen, – mußte seine Fanny auf Kosten seines[169] Lebens vertheidigen! – O mein geliebter Karl, wie elend hast Du uns beide gemacht! – Noch lebt der von ihm Verwundete, aber jede Stunde droht ihm Tod – und meinem Karl Verbannung! – Stirbt der Elende, dann hin ich verloren! – dann ist an Karls Rükkehr nicht mehr zu denken. – Dann ist er für mich dahin, der beßte Gatte, der vor Gott schon lange der meinige war! –

Ha! – Amalie! – Die Leiden der Trennung drükken schwer, aber die Leiden einer hofnungslosen Liebe drükken noch schwerer! – Du kennst meine Verfassung; kann ich ihm wohl nacheilen? – Kann ich eine Familie verlassen, deren einzige Hofnung ich noch bin? – O die Liebe ist allgewaltig! – Ja, ich kann's, ich will's, ich muß, ich werde ihm nacheilen! – Stirbt der Verwundete, dann hält mich nichts mehr auf! – Um meinetwillen ist er flüchtig! – Um meinetwillen irrt er izt in der Welt herum! – Mir kömmt es zu, ihn zu trösten, seinen Jammer zu lindern! – Er soll mich wiedersehen, es ist mir Pflicht, einem Geliebten zu folgen, der ohne mich dahinwelken würde!!! –

Fanny.


N. S. Lies beigeschloßnen Brief vom armen Karl! –


Weib, meiner Seele! – Du einzige Geliebte meines Herzens! – Mäßige um Gottes willen deinen Kummer, trokne deine Thränen! – Erhalte deinem armen Karl eine Gattin, die vor den Augen Gottes mit ihm vermählt ist!

Schröklich ist zwar unser Schiksal, daß wir entbehren müßen die Seligkeiten eines Umgangs, der uns beide so himmlisch entzükte! – – Noch fühle ich die Wärme deines Busens, wenn er an den meinigen gelehnt mir Glükseligkeit zuklopfte! – Sie sind verschwunden diese Stunden der gränzenlosesten Glükseligkeit! – O meine Fanny! – Wann wird[170] dein armer Flüchtling Dich wiedersehen? – Wann wird er Dich wieder an dies Herz drükken können? –

Ha! – Ich bin ein Elender! – Noch rauchen meine Hände vom Blut! – Noch höre ich den todtblassen Gegner zu meinen Füßen röcheln! – Weh mir! – Ich wurde unschuldig zum Mörder! – Daß doch der unglükselige Verläumder mein Temperament reizen mußte! – Daß er Dich Engel so schändlich beleidigen mußte! – Nur ein Bösewicht oder ein Nebenbuhler kann die Ehre eines rechtschaffenen Mädchens so teuflisch verdächtig machen! – Du meine Gattin, mein Stolz, mein Alles, Dich hätte ich sollen so erniedrigen lassen? – O bei Gott! die blose Erinnerung glüht mir wieder durch alle Adern!

Sey mir willkommen Verbannung! – Sey mir willkommen! – Ich dulde dich gerne, um meiner Gattin willen, die mir auch ins Elend folgen wird! – Willst Du? – Willst Du Edle, einem Gatten folgen, der ohne Dich nicht weiter an dieses Leben gefesselt seyn will? – Ich kenne Dich, göttliches Mädchen! Liebe ist die einzige Triebfeder deiner Seele! – Du kannst deinen Karl nicht elend machen!

Wenn diese Hofnung mich Unglüklichen nicht belebte, – ich würde mein Schiksal verfluchen! –

Laß mich bald wissen, Theure, ob Du mir folgst, oder ob ich wieder zurükkehren darf in deine Arme? – Gott! wie schröklich ist es, wenn lebhafte Menschen auf solche entscheidende Nachrichten harren! – Dein unglüklicher, ewig Dich liebender

Karl ***. –[171]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 169-172.
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