CXLIII. Brief

An Fanny

[187] Sey munter, meine Liebe! – Sey munter! Mein Debut ist mir gelungen, ich habe dem Publikum gefallen, und bin nun förmlich angeworben! –[187]

In wenig Tagen reist die ganze Gesellschaft nach U... Indessen soll mich das doch nicht abhalten, Dir auch die Theater-Talenten unserer Mannsleute zu schildern. – Der Direktor spielt selten, und thut dabei recht wohl, weil ihm der Hanswurst noch leibhaftig aus den Augen sieht. –

Herr H.... hingegen spielt alle ersten Rollen; aber... das Gott erbarm! – so äußerst schlecht, als man es nur von einem Tänzer fodern kann, der sein Talent in den Füßen und nicht im Kopfe stekken hat. – Die Leute sagen zwar, daß die Direktrise es so haben will; daß sie ihm so gar erste Liebhaber-Rollen aufdringt. – Warum? – Vermuthlich weil ihr an seiner Seite die ersten Liebhaberinnen am beßten gelingen. – Es kam mir selbst wunderlich vor, daß Tänzer H... bei dieser Gesellschaft zum ersten Liebhaber ist erhöht worden. – Aber warum soll ich ihm denn die Freude nicht gönnen, sich bewundern zu lassen, jede Rolle zu affektieren, zu kastrieren oder gar zu verhunzen? – Er verfehlt freilich den Weg zur lieben Natur, spricht kein einziges Wort, welches nicht aus seinem Mund gestottert, herausgeplazt, oder gepredigt kömmt. – Aber was thut das zur Sache? – So überspannt, affektiert sein Spiel auch immer ist, so besizt der Bursche doch gut gewachsene Knochen, mit denen die Frau Direktrise aus Eitelkeit vor dem Publikum Wind macht. – Zuweilen wandelt dem Helden so gar die Lust an, seine Geberden für Anstand auszuschreien, was doch weiter nichts als Tänzer-Posituren und Verdrehungen des Körpers sind. – Sein eingebogener Rükken sieht einem krummgewachsenen Baume ähnlich, der seiner Seltenheit wegen Jedermann zur Bewunderung einladet. – Wenn doch der geschraubte Gekke in seinem Wesen nur der Natur den Lauf ließe, er würde wahrlich unter den Damen weit mehr Eroberungen machen, worauf er es eigentlich zum Leidwesen seiner ersten Liebhaberin anträgt. –[188]

Nun kömmt Herr P.... zum Vorschein; – ein ganz artiger junger Mann, der ehedessen auch das Glük genoß, sich nach Gutdünken und mit Bewilligung der gutherzigen Frau Direktrise Rollen zu wählen, aber nun, seitdem Ritter H... zum Vorschein kam, mit lauter Nebenrollen vorlieb nehmen muß. Sein Theater-Talent ist nicht uneben: Obgleich ein Bischen leichtsinnig im Memoriren, besizt er dennoch die Kunst, seine Liebhaber-Rollen mit einem sanftschleichenden Wesen vorzustellen. Zu Affekt-Rollen ist seine Brust zu schwach. –

Dann haben wir noch einen gewissen H... n; – auch ein junger Schauspieler, der sehr schmelzende Organen hat; – nur fehlt es ihm an gehöriger guter Anleitung, besserer Rollen-Einsicht, mehrerem Feuer und Dreistigkeit, sonst könnte er einstens ein braver Schauspieler werden.

Auch Herr R.... spielt bisweilen beim hiesigen Theater einige Liebhaber-Rollen, hat Anstand, Theaterspiel, aber zu viel singende Töne in seiner Deklamazion, besonders im Tragischen. – Wenn er sich daran gewöhnte, im Sprechen die Zähne besser von einander zu thun, dann würde seine Aussprache männlicher ausfallen, und in seinen Helden-Rollen nicht den süßen, tändelnden Stuzzer verrathen. – Diesem Schauspieler wünsche ich zu seinen Kenntnißen mehrere Vollkommenheit der Stimme. –

Endlich zum Hauptschauspieler, Herrn N...., der bei uns alle ersten Väter-Rollen spielt, aber auch dabei seine Eigenliebe nicht um eine Welt hingäbe. – Ein wahrer Jesuitischer Starrkopf, der weit größere Einbildung als Talente besizt. – Wahr ist's, er memorirt gut – hat Enthusiasmus für die Kunst, erreicht zuweilen durch diese enthusiastische Eitelkeit das gehörige Feuer in gewissen Rollen, aber übertreibt es dabei in seinen Gradationen bis zur äußersten Raserei einer um Beifall bettelnden Eigenliebe. – Sein Fleiß könnte[189] ihn zum guten Schauspieler machen, wenn in ihm nicht schon vom Jesuiten-Gift alle gute Gefühle ekstikt worden wären. – Anstand – Erziehung – Weltton fehlen ihm durchaus. Der gute verunglükte Bonze verläßt sich zu sehr auf den Beifall des Publikums, welches hier daran gewöhnt ist, ausgezeichnete Stellen zu beklatschen, sie mögen auch noch so übertrieben vorgestellt werden. – Möchte Herr N... sich auf bürgerliche Rollen legen – sie würden ihm weit besser gelingen, als erhabene Rollen, die mit Würde müßen vorgestellt werden, – wozu sein Körper gar nicht gebaut ist. – Das Wort Jesuit, mag Dir von seinem moralischen Karakter einen Begrif geben. – Er folgt ihrem Beispiel getreulich; – macht heimliche Intriken; übt im Stillen Verfolgungen und Bosheiten aus; unterdrükt die Nebenschauspieler; – reißt ihnen mit heuchlerischer Miene den Bissen Brod aus dem Munde; schmiedet Kabalen; kriecht wie ein Wurm vor der Direktrise; schmiegt sich bei Grobheiten – und drükt Jeden, der seiner Eitelkeit nicht schmeichelt, im Stillen den Dolch ins Herz; – hingegen zittert der Feige, wie jeder Bösewicht, wenn ihm der ehrliche Mann kühn die Stirne bietet. – So viel hat man mir von ihm erzählt, und so viel habe ich auch selbst an ihm bemerkt. –

Nun endlich zu den Bedienten-Rollen, wovon Herr K... die ersten bei uns über sich hat! – Ein Schauspieler, der keine einzige Rolle ohne Kenntnis spielt; – Nur wünschte ich, daß er nicht zuweilen zu stark der komischen Laune des Publikums folgte, und in einigen seiner Rollen nicht zu sehr ins Niedrig-Komische fiele. – Auch das Komische hat seine Schranken, wenn wir es von den Hanswursten-Zeiten entfernen wollen. – Die Rollen-Einsicht dieses aufgeklärten Schauspielers ersezt ihm hinlänglich den Fehler seiner heisern Stimme. – Er weis durch Nachdruk der Worte und Gestikulazion den Zuschauer für diesen Naturfehler schadlos zu halten. –[190]

Herr K... r spielt die lezten Bedienten-Rollen, von deren Unwichtigkeit sich gar nichts sagen läßt. – Diejenigen, die bei uns Nebenrollen spielen, will ich gar nicht berühren. –

So bald ich in U.... anlange, erhältst Du nähere Nachricht von

Deiner Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 187-191.
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