CXLVI. Brief

An Fanny

[198] Aber sage mir, Mädchen, wer sollte auch bei deiner beissenden Rezension gelassen bleiben können? – Ich habe Dich ja blos zur Rathgeberin und nicht zur Spötterin aufgefodert. – Ich dächte, Du wärest dem jungen Mann doch um meinetwegen mehr Schonung schuldig! – Jeden übereilten Ausdruk von ihm schreibst Du auf Rechnung seines Herzens. –

Klugheit und Vorsicht bei der Wahl eines Gatten, fodert die Vernunft, aber zu viel grillenhafter Verdacht ist immer die Folge eines eigensinnigen Vorurtheils. Wenn wir von den Menschen gar nichts Gutes hoffen dürfen, wer würde sich wohl wünschen in einer solchen Furien-Welt zu leben? – Unbesonnen würde ich erst alsdann handeln, wenn ich mich jezt gleich mit ihm verbände – ohne ihn gründlicher kennen zu lernen. –

Täglich werden seine Briefe häufiger und feuriger; wenn er mir abwesend so fleißige Rechenschaft von seiner Leidenschaft giebt – so wird er doch bei meiner Ankunft nicht wanken. – Muß ich das nicht für Standhaftigkeit halten, da er freie Wahl hätte es zu unterlassen? – Ich habe wirklich Beweise seines guten Herzens. – Die übrigen Fehler, die deine Menschenkenntnis in ihm zu entdekken glaubt, will ich jezt in der Entfernung nicht untersuchen. – Zeit genug, wenn ich einstens wieder in seiner Vaterstadt anlange. – Alles was ich thun kann, ist, mich bei meiner Ankunft keiner zu heftigen Schwärmerei zu überlassen, wenn ich bis dorthin Veränderung in seinen Briefen entdekken sollte. –

Mehr kannst Du von einem Weibchen nicht fodern, deren empfindsames Herz Du kennst. – Die wenigen Zweifel, die[198] mir lezthin noch aufstiegen, sind nun durch seinen fleißigen Briefwechsel fast ganz in mir erloschen. Warum soll er mir die feurigste Leidenschaft und die sehnsuchtsvollste Liebe vorplaudern, wenn er flatterhaft genug wäre, in seiner Vaterstadt Befriedigung zu suchen? – Warum soll er gegen eine Abwesende ohne den mindesten Vortheil heucheln? – Warum soll er ein gutes Herz zur Leidenschaft reizen, wenn er Bösewicht genug seyn könnte – schönere, reichere Frauenzimmer zum Verführen zu finden? –

Geh – geh – Fanny, einer solchen teuflischen Heuchelei ist er doch nicht fähig! – Kennt er mich nicht aus meinen Briefen? – Weis er nicht, daß er es mit keinem Alltags-Geschöpfe zu thun hat, die er aus Eitelkeit, oder aus Leichtsinn äffen kann? – Liebe ist bei mir keine Galanterie. – Ich bin ein biederes teutsches Weib; habe ihm meine ganze Lage, alle meine Fehler und Schwachheiten zum voraus geschildert; wenn er nun troz dem ein wankelmüthiger Knabe seyn will, dann verzeih ihm's Gott! – Gesezt auch, er wäre eine elende Memme, die sich vom Vorurtheil unter die Ruthe beugen ließe, was verlöre ich denn auch an so einem Geschöpf? – Ich glaube, mein Selbstgefühl, mein Stolz würde mich nach so einer Ueberzeugung noch vom Altar zurükreißen – und wenn mein leidenschaftliches Herz auch darüber in Stükke zerspränge! –

Es ist wahr, ich liebe heftig; – aber mein Kopf, meine Ehrliebe, ist doch fähig, meiner Leidenschaft zu gebieten, so bald ich Fehler in einem Gegenstand entdekke, die ich als Denkerin verabscheuen muß. – So sehr dieser Junge mein Zutrauen besizt, eben so schnell würde er meiner Verachtung theilhaftig werden, wenn ich von seiner Unwürdigkeit überzeugt würde. – Aber mein gutes Herz von so etwas zu überzeugen, das wird schwer halten! – Falschheit in der Liebe ist mir unbegreiflich! – Eitelkeit und Eigenliebe[199] mischen sich dann auch gerne in die Liebe; und man ist gar zu sehr geneigt sich davon blenden zu lassen und jeden Widerspruch zum eigenen Vortheil auszulegen. –

Er schwärmt izt außerordentlich in seinen Briefen – spricht von den Seligkeiten einer glüklichen Ehe u.s.w. – Wenn er bei meiner Ankunft so fortfährt, dann bin ich glüklich! – Aber mit durchdringender Aufmerksamkeit will ich ihn beobachten. Für mich bleibt er die einzige Hofnung – und ich zittere bei dem Gedanken einer Untersuchung. – Ich schenkte ihm mein ganzes Zutrauen – er bewies sich menschenfreundlich! – O er ist gewis unfähig eine gute Seele unglüklich zu machen – die ihm nichts zu Leide that! –

Riethest Du mir nicht selbst, liebe Freundin, mich bald wieder mit einem Gegenstand zu vereinigen? – Die Männer, die einen guten moralischen Karakter verrathen, sind nicht so häufig zu finden. – Also, meine Beßte, keine Vorwürfe mehr, wenn ich für diesmal meinem guten Herzen folge. – Deine Dich immer liebende

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 198-200.
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