CXLVII. Brief

An Amalie

[200] Dacht ich's doch, liebes Malchen! – Dacht ich's doch! – daß Du mir meine ungeheuchelte Sprache übeldeuten würdest. So bitter behandelst Du deine Fanny? – Du brandmarkest sie gar zur boshaften Spötterin, – da ich Dir doch blos aus reifer Ueberlegung meine Herzens-Meinung schrieb. – Warum soll ich glimpflich gegen den jungen Mann verfahren, wenn er mit aller Macht des Leichtsinns auf deine Ruhe losstürmt? –[200]

Liebe kann Dich, gutes Weibchen, zur glüklichsten Gattin, aber auch zur unglüklichsten Märtirerin machen – wenn Du von ihr betrogen wirst. – Ich wünsche deinem fühlenden Herzen eben so sehr Liebe, als ich mir Mühe gab, Dich gut wählen zu machen. – Hat Dich der Schaden noch nicht klug gemacht? – Bist Du noch immer so gutherzig und leichtgläubig? – Kennst Du deine Heftigkeit nicht, wenn Du Dich in eine Leidenschaft hineinwagst? – Sey nicht schwach, meine Amalie! – Prüfe, ehe Du Dich derselben überlässest! – Wenn der junge Mann Dir auch alle Minuten noch wärmere Briefe schriebe, so ist das doch kein Beweis seiner Standhaftigkeit. – Deine Briefe schmeicheln seiner Eitelkeit; und da ihn niemand im Schreiben stört, so kann er leicht seine augenblikliche Schwärmerei aufs Papier hinkrizzeln. –

O, ich bitte Dich, schränke dein Zutrauen ein, bis Du ihn näher kennen lernst. – Bedenke, was das für dein gutes, weiches, vortrefliches Herz für ein Schlag seyn würde, wenn sein Feuer eben so schnell wieder verlösche, als es aufbrasselte? – Der edle Stolz würde freilich deinem Herzen nach und nach gebieten, aber doch gewis nicht unter geringem Leiden! – O wann das Herz einmal spricht, dann kostet es die schröklichste Gewalt, es unter die Vernunft zu beugen. – Ich betheure Dir ein für allemal, seine Briefe, die Du mir mittheiltest, können mir durchaus nicht gefallen! – Er spricht nicht als Mann – denkt an keine Zukunft, macht keine vernünftige Plane zu einer Vereinigung, vertheidigt Widersprüche, und scheint äußerst zaghaft zu seyn. – So viel kann ich Dir bei dem unauslöschlichen Feuer meiner freundschaftlichen Liebe schwören! –

Freundin! – Freundin! – Du verkennst mein Herz, oder willst es mit Gewalt verkennen, wann man deine gespannte Einbildungskraft an Klugheit erinnert! – Hast Du mir wegen[201] meiner Leidenschaft nicht auch derbe Dinge gesagt? – Und sag, brauste ich je darüber auf? – Da ich doch meines Karls Denkungsart schon Jahre lang geprüft hatte! – Gott! soll ich so eine edle, biedere Seele, die durch ihre Redlichkeit jeden Vorzug verdient, hintergehen lassen? – Du bist keine thörichte, gefühllose Kokette, um eine Falschheit leichtsinnig ertragen zu können, die Dir vielleicht ein unbesonnener, eitler Gek zubereiten will. – Weist Du nicht, daß uns Weibern keine Rache bei dem schändlichen Verfahren eines solchen Bubens übrig bleibt; daß wir im Gegentheil nur Spott und Hohn von einer Welt zu gewarten haben, worinnen so Wenige wahre Liebe verstehen? –

Geh hin und weine dann in einem solchen Falle einer vermeinten Freundin vor; und sie wird Dir mit ihrem kalten, unmoralischen, lieblosen Herzen unbarmherzige Vorwürfe über deine Leichtgläubigkeit machen; denn das ist die Art der meisten Weiber, die blos Genuß und Koketterie kennen. – Aber ich, meine Amalie, will Dich auch im Unglük – wenn es Dich treffen sollte – sanft behandeln, – so rasch auch immer dein lezter Brief war. –

Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 200-202.
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