Nachschrift

an die Leser und Leserinnen.

[246] So viel, meine werthesten Freunde und Freundinnen, kann ich Sie versichern, daß dieses mein Werkchen eine wahre Geschichte und kein idealischer Roman ist. – Ich werde wohl nicht nöthig haben, für den Welt- und Menschenkenner diese Behauptung deutlicher zu erklären, wenn er den geraden, natürlichen Gang meiner Geschichte eingesehen hat, die so weit von den abentheuerlichen Episoden, romanenhaften Windbeuteleien, u.s.w. entfern ist, und blos bei der lieben Natur, bei wirklichen Auftritten aus dem menschlichen Leben stehen bleibt. – Mich dünkt, daß man aus dieser ganz begreiflichen Art Schiksale, aus dergleichen wahrscheinlichen Begebenheiten am beßten Herzen, Menschen und Sitten studieren lernt, weil sie auf keine Schimären, auf keine Ideale gegründet sind. Ob nun diese meine gute Absicht bei meiner Arbeit von den Denkern und Denkerinnen so verstanden wird, wie ich es wünsche, dies wird die Folge weisen. –

Vielleicht hat diese ungezierte, an erdichteten Verwiklungen und gehäuften Intriken so leere Geschichte nicht das Glük dem verwöhnten Geschmak zu gefallen, der leider so gerne bei Hirngeburten und bei lügenhaften Geniestreichen verweilt. – Es sollte mir wahrlich leid thun, weil ich mit allem Vorbedacht bei der pünktlichen Wahrheit der Geschichte stehen blieb und nicht gerne Erdichtungen einflikken wollte, um meine Leser und Leserinnen nicht mit Märchen aus dem Reiche der Möglichkeit zu täuschen, die unsere meisten Romanen ohnehin genug anfüllen. –[246]

Meine Arbeit mußte ein Kind der Natur werden; wollen sich nun die Abgesandten der Vorurtheile und dienstfertige Grübler daran wagen, dasselbe zu nekken, so wird seine Mutter aus Erfahrung wohl so viel kaltes Blut gesammelt haben, um ihre Nekkereien mit philosophischer Gleichgültigkeit zu ertragen – oder es zu vertheidigen, – je nachdem es kömmt! –

Die Verfasserin.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 246-247.
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Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen
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